Supraleiter leiten Strom ohne Widerstand – aber warum? Bisher war offen, warum Cuprate und andere Hochtemperatur-Supraleiter in den supraleitenden Zustand wechseln. Jetzt liefert ein Experiment erstmals starke Belege für eine der grundlegenden Theorien zu diesen Materialien. Demnach verlieren die Elektronen benachbarter Metallatome durch magnetische Wechselwirkungen und eine Art Mittler ihre Abstoßung – und bilden die für die Supraleitung nötigen Cooper-Paare.
Ein Supraleiter leitet Strom nahezu verlustfrei. Gängiger Theorie nach liegt dies daran, dass die Elektronen in solchen Supraleitern ihre normale Abstoßung überwinden und sogenannte Cooper-Paare bilden. In diesen haben sie den gleichen Quantenzustand und können sich daher als Einheit und ohne Widerstand bewegen. In klassischen Supraleitern werden solche Cooper-Paare durch thermische Effekte zusammengehalten und bilden dabei Dichtewellen im Material, wie Physiker 2016 nachgewiesen haben.
Das Geheimnis der Cuprate
Doch bei Hochtemperatur-Supraleitern wie den Cupraten kann dieser Mechanismus nicht funktionieren – die Teilchen vibrieren zu stark. Daher müssen die Cooper-Paare in solchen Materialien auf andere Weise zusammengehalten werden. Aber wie? Bisher gibt es dazu nur Theorien, darunter die sogenannte Superexchange-Theorie. Nach dieser werden die Elektronen durch magnetische Wechselwirkungen zur Paarbildung gebracht.
Konkret entstehen die Cooper-Paare dieser Theorie zufolge, wenn in einem Supraleiter die Elektronenorbitale der Metallatome durch ein nichtmagnetisches Sauerstoffatom getrennt sind. Dieses agiert dann gewissermaßen als Vermittler und erlaubt es den Elektronen, durch quantenphysikalische Überlagerungen ihre Abstoßung zu überwinden und Cooper-Paare zu bilden. Diese bleiben stabil, weil dieser Zustand energetisch günstiger ist. So weit die Theorie.
Ein Supraleiter mit atomaren Wellen
Ein experimenteller Nachweis der Superexchange-Theorie fehlte bisher allerdings, weil sich diese Wechselwirkungen bei Cooper-Paaren mit gängigen Methoden nicht nachweisen lassen. „Keine der etablierten Techniken in der Festkörperphysik war darauf ausgelegt, ein solches Problem zu klären“, erklärt Studienleiter Seamus Davis vom University College Cork. Er und sein Team haben nun jedoch eine Methode entwickelt, die genau dies geschafft haben könnte.
Die Basis dieses Experiments bildet der Hochtemperatur-Supraleiter BSCCO, ein Cuprat, in dem neben Kupferoxid auch die Metalle Wismut, Strontium und Calcium vertreten sind. Ihre Präsenz führt dazu, dass die normalerweise geraden Schichten aus Kupfer- und Sauerstoffatomen in diesem Material wellenartig verformt sind. Dadurch variiert auch der Abstand ihrer Elektronenorbitale – und damit der Teilchen, die für die Cooper-Paare entscheidend sind.
Rastertunnelmikroskopie mit Wechselspitze
Stimmt nun die Superexchange-Theorie, müsste es für die Metallelektronen in den Zonen mit größerem Atomabstand schwieriger sein, sich über den Sauerstoff hinweg miteinander zu verkoppeln und Cooper-Paare zu bilden. Um dies prüfen, verwendeten Davis und sein Team zwei Varianten der Rastertunnelmikroskopie. In der ersten nutzten sie eine normale Metallspitze, um die Oberfläche des BSCCO Atom für Atom abzutasten. Winzige Veränderungen des zwischen Spitze und Material entstehenden Tunnelstroms erlaubten es ihnen, die Ladungstransfer-Energien für die Elektronen dieser Atome zu messen – und damit die Energiebarriere für die Paarbildung.
Im zweiten Durchgang tauschten die Physiker die Metallspitze des Rastertunnelmikroskops gegen eine Spitze aus Cuprat aus. Dadurch lässt sich nun beim Abtasten des Supraleiters die Dichte der Cooper-Paare ermitteln. „Indem wir so die Intensität der Supraleitung in Abhängigkeit von den Unterschieden in den Orbital-Energien untersucht haben, konnten wir erstmals präzise überprüfen, ob die Superexchange-Theorie zutrifft oder nicht“, erklärt Davis.
Korrelation zwischen Energiebarriere und Cooper-Paaren
Das Ergebnis: Die beiden Messungen zeigten tatsächlich eine klare Korrelation. Dort wo wegen der variablen Atomabstände die Energiebarriere für die spinmagnetische Kopplung höher war, fanden die Physiker auch eine geringere Dichte an Cooper-Paaren. War die Energiebarriere zwischen den Orbitalen der Kupfer- und Sauerstoffatome hingegen geringer und ein „Superexchange“ wurde begünstigt, war auch die Dichte der Cooper-Paare hoch.
Nach Ansicht der Physiker spricht dies dafür, dass die Superexchange-Theorie richtig liegt. Die seit Jahrzehnten gesuchte Erklärung für die Cooper-Paare der Hochtemperatur-Supraleiter könnte damit gefunden sein. „Ich arbeite seit 25 Jahren an diesem Problem und hoffe nun, es endlich geknackt zu haben. Ich bin absolut begeistert“, sagt Davis.
Vielversprechende Aussichten
Sollte sich die Gültigkeit der Superexchange-Theorie für Hochtemperatur-Supraleiter bestätigen, könnte dies auch ganz praktische Vorteile bringen. Dann könnte es möglich werden, gezielt synthetische Hochtemperatur-Supraleiter zu entwickeln und bestehende Materialien zu optimieren. Das Ergebnis könnten dann Supraleiter sein, die schon bei Raumtemperatur widerstandslos Strom leiten.
„Dies ist schon seit Jahrzehnten eines der als heiliger Gral angesehen Ziele der Physik“, sagt Davis. „Viele Leute sind der Ansicht, dass solche leicht verfügbaren Raumtemperatur-Supraleiter ähnlich revolutionär für die menschliche Zivilisation sein könnten wie die Entdeckung der Elektrizität.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2207449119)
Quelle: University College Cork