Vorwarnung im Blut: Ob nach einer Coronavirus-Infektion ein Long-Covid-Syndrom droht, könnte ein Bluttest künftig vielleicht vorhersagen. Denn Forschende haben 20 Proteine im Blut identifiziert, die schon bei Infektionsbeginn anzeigen, ob jemand ein Jahr später noch unter Covid-Symptomen leiden wird. Anhand dieses Proteinmusters konnte ein Algorithmus alle späteren Long-Covid-Patienten unter den Testpersonen erkennen. Sollte sich die Indikator-Eignung dieser Proteine bestätigen, könnte dies bei der Früherkennung und Behandlung gefährdeter Patienten helfen.
Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 hat bei vielen Betroffenen anhaltende Folgen: Noch Monate später leiden sie unter chronischer Erschöpfung, Muskelschmerzen, neurologischen Problemen und weiteren Symptomen – sie haben Long Covid. Wodurch diese Spätfolgen verursacht werden und warum nur einige Menschen Long Covid oder das erst einige Wochen nach der akuten Infektion auftretende Post-Covid-Syndrom entwickeln, ist bisher unklar. Auch eindeutige Biomarker für diese Spätfolgen fehlen noch.
91 Blutproteine im Visier
Abhilfe schaffen könnte nun eine Entdeckung, die Mediziner um Gabriella Captur vom University College London gemacht haben. Für ihre Studie hatten sie Blutproben von britischen Pflegekräften untersucht, die diesen zu Beginn der Coronapandemie wöchentlich entnommen worden waren. 54 dieser Testpersonen infizierten sich SARS-CoV-2, 1010 weitere Personen dienten als Kontrolle. Anhand von 91 Blutproteinen wollte das Team ermitteln, ob und wie sich diese Biomoleküle im Verlauf einer Corona-Infektion verändern.
Es zeigte sich: „Selbst ein mildes oder asymptomatisches Covid-19 stört das normale Profil der Proteine in unserem Blutplasma“, berichtet Captur. Bei zwölf dieser Biomoleküle waren die Blutwerte schon mit Beginn der Corona-Infektion deutlich verändert, weitere Proteine kamen dann im Verlauf der nächsten Tage und Wochen dazu. „Dies bedeutet, dass selbst bei einem milden Verlauf von Covid-19 unsere biologische Prozesse stark beeinflusst sind“, so Captur.
20 Proteine kündigen Long-Covid an
Noch bedeutsamer jedoch: Unter den Proteinveränderungen waren einige, die vor allem bei späteren Long-Covid-Betroffenen stark ausgeprägt waren. „Wir haben ein proteomisches Profil identifiziert, das mit hoher Zuverlässigkeit anhaltende Symptome vorhersagt“, berichten die Forschenden. Diese Biomarker bestehen aus 20 Proteinen, die bei Patienten mit späterem Long Covid schon zu Beginn der akuten Coronavirus-infektion verändert sind.
Unter den Indikator-Proteinen sind Biomoleküle vertreten, die Zellschäden anzeigen, aber auch immunologische und entzündliche Prozesse. „Eines der Proteine, das persistierende Symptome am deutlichsten vorhersagte, ist das Vorläuferprotein von Beta-Amyloid (APP), das im Blutserum als Gerinnungshemmer wirkt“, so Captur und ihre Kollegen. Ebenfalls von hoher prognostischer Relevanz ist HSCB, ein für den Eisen- und Energiestoffstoffwechsel der Blutzellen wichtiges Protein. „Es ist plausibel dass HSCB ins Blut freigesetzt wird, wenn Blutzellen und ihre Mitochondrien durch Covid zerstört werden“, erklärt das Team.
Long-Covid-Früherkennung per Bluttest
Nach Ansicht der Forschenden könnte diese Proteinsignatur künftig dabei helfen, ein drohendes Long Covid schon bei der akuten Corona-Infektion zu erkennen. Wie dies funktionieren könnte, demonstrierte das Team mit einem ergänzenden Test: Sie trainierten einen lernfähigen Algorithmus darauf, die Long-Covid- Biomarker zu erkennen, und gaben ihm dann die Blutwerte aller Testpersonen. Tatsächlich konnte das System alle elf späteren Long-Covid-Betroffenen anhand der Blutproben vom Beginn der akuten Infektion identifizieren.
„Unser Tool für die Long-Covid-Prognose muss zwar noch an einer größeren Patientengruppe validiert werden“, sagt Captur. „Aber dann könnte mit unserem Ansatz ein günstiger und schneller Test entwickelt werden, der schon bei Beginn der Corona-Infektion eingesetzt werden kann.“ Die für die Proteinanalyse der Blutproben eingesetzte Methode sei zudem bereits in Krankenhäusern und Laboren etabliert und automatisiert und daher leicht umzusetzen.
Eine solche Früherkennung hätte den Vorteil, dass die Betroffenen schon während der akuten Infektion gezielt mit antiviralen Mitteln und anderen therapeutischen Wirkstoffen behandelt werden könnten – in der Hoffnung, so dem Long-Covid.-Syndrom vorzubeugen. (EBioMedicine, 2022; doi: 10.1016/j.ebiom.2022.104293)
Quelle: University College London