Zuerst kommen die Schmeißfliegen. Wenige Stunden nach dem Tod steuern sie Augen, Nase, Mund und Wunden eines leblosen Körpers an. Hier legen sie ihre Eier ab – und nur wenige Tage später wimmelt es von Leben: Zahlreiche Maden schlüpfen und ernähren sich von dem toten Gewebe, bis sie schließlich zu neuen Fliegen werden. Nicht nur Schmeißfliegen, auch andere Fliegenarten gesellen sich im Lauf der Zeit dazu, und zuletzt kommen noch verschiedene Käfer angekrabbelt.
Vom Kriminalbeamten zum Forensischen Entomologen
Das rege Treiben, das sich auf Leichen abspielt, kann durchaus aufschlussreich sein – zum Beispiel, wenn man herausfinden möchte, wann und unter welchen Umständen ein Mensch ums Leben gekommen ist. Insekten können zudem verraten, ob ein Leichnam nach dem Tod noch einmal umgebettet wurde und damit wertvolle Hinweise auf den Tatort liefern. Mit diesen Fragen kennt Ersin Karapazarlioglu sich nur zu gut aus. Er forscht in der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der Ruhr-Universität Bochum.
Bevor Karapazarlioglu im Jahr 2020 nach Deutschland kam, arbeitete er 17 Jahre in der Türkei als Kriminalbeamter und als Dozent an der Polizeihochschule und einer Universität. An Tatorten hat er stets auch Ausschau nach Insekten gehalten. Mit ihrer Hilfe konnte er den Todeszeitpunkt einer Leiche teilweise genauer bestimmen als mit anderen Methoden. Dieses Verfahren wird als forensische Entomologie bezeichnet.
Vom alten China bis ins moderne Europa
Die Wurzeln der Forensischen Entomologie reichen bis ins alte China zurück. Schon im 13. Jahrhundert beschrieb dort ein Rechtsgelehrter, wie ein Leichnam untersucht wird und welche Anhaltspunkte man für Todesursache und Alter der Gebeine finden kann. Erst gut 500 Jahre später wurden Insekten erstmals auch in Europa zur Ermittlung des Todeszeitpunkts herangezogen. Der französische Arzt Louis Bergeret veröffentlichte dazu 1855 den ersten Fallbericht. 1881 führte der deutsche Mediziner Hermann Reinhard erstmals systematische Untersuchungen zur forensischen Entomologie durch.
In der modernen Kriminologie wurde die forensische Entomologie zunächst in den USA etabliert. In Europa steckt sie dagegen noch in den Kinderschuhen. Einer der Gründe dafür: Das Wissen aus den USA lässt sich nicht einfach auf Europa übertragen, weil es in verschiedenen geografischen Regionen unterschiedliche Insektenarten gibt und deren Entwicklung von vielen Umweltfaktoren abhängt. Es braucht Forschung vor Ort in Europa, um auch hier mithilfe von Insekten den Todeszeitpunkt einer Leiche bestimmen zu können.
Grundlagen dafür möchte Ersin Karapazarlioglu an der Ruhr-Universität Bochum schaffen. Im Team von Wolfgang Kirchner forscht er im Rahmen der Philipp Schwartz-Initiative, einer Förderung für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Heimat verlassen mussten.