Astronomie

Erdnächstes Schwarzes Loch entdeckt

1.560 Lichtjahre entferntes Objekt ist erstes eindeutig nachgewiesenes "stilles" Schwarzes Loch

Schwarzes Loch
Astronomen haben das erdnächste Schwarze Loch entdeckt. Es ist unsichtbar, würde aber von nahem gesehen das Licht seines Begleitsterns stark verzerren. © T. Müller/ MPI für Astronomie

„Dunkler“ Fund: Astronomen haben das erdnächste Schwarze Loch entdeckt – es ist zugleich das erste eindeutig nachgewiesene inaktive und daher unsichtbare stellare Schwarze Loch. Das Gaia BH1 getaufte Objekt liegt nur 1.560 Lichtjahre von uns entfernt und wird von einem sonnenähnlichen Stern umkreist. Rätselhaft ist allerdings, wie dieses Paar zustande kam, denn Loch und Stern sind einander näher als sie sein dürften: Der Vorgängerstern des Schwarzen Lochs hätte seinen Begleitstern schon vor seinem Wandel zum Schwarzen Loch verschlingen müssen.

Stellare Schwarze Löcher entstehen, wenn sich ein massereicher Stern am Ende seines Lebenszyklus erst zum Überriesen aufbläht und dann in einer Supernova explodiert. Gängigen Schätzungen zufolge müsste es allein in der Milchstraße mindestens 100 Millionen stellarer Schwarzer Löcher geben – entdeckt wurden jedoch bisher nur wenige Dutzend. Einige verrieten sich durch die Gravitationswellen bei ihrer Kollision, andere durch die Röntgenstrahlung, die sie beim Absaugen von Materie von einem Begleitstern freisetzen.

stilles Schwarzes Loch
Inaktives stellares Schwarzes Loch mit einem sonnenähnlichen Begleitstern. © International Gemini Observatory/ NOIRLab/NSF/AURA/J. da Silva, Spaceengine/M. Zamani

Die große Mehrheit der stellaren Schwarzen Löcher in unserer Galaxie und auch in unserer Nachbarschaft sind jedoch dunkel und inaktiv und daher für unsere Teleskope unsichtbar. Bisher gibt es nur wenige, größtenteils unbestätigte Kandidaten für solche stillen Schwarzen Löcher – und die meisten davon erwiesen sich im Nachhinein als Irrtum. Das galt auch das 2020 entdeckte vermeintlich erdnächste Schwarze Loch HR 6819.

Verräterische Sternbewegungen

Doch jetzt sind Astronomen fündig geworden: Ein Team um Kareem El-Badry vom Max-Planck-Institut für Astronomie und dem Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics hat ein stellares Schwarzes Loch in nur 1.560 Lichtjahren Entfernung von der Erde nachgewiesen. Aufgespürt haben sie das unsichtbare Objekt anhand subtiler Taumelbewegungen seines Begleiters, eines rund eine Sonnenmasse scheren sonnenähnlichen Sterns.

Für ihre Fahndung nach stillen Schwarzen Löchern hatten die Astronomen den erst kürzlich veröffentlichten dritten Datensatz des europäischen Weltraumteleskops Gaia nach Sternen durchsucht, deren Orbits und Positionen sich im Laufe der Zeit leicht verschieben. Solche Auslenkungen können ein Indiz für den Schwerkrafteinfluss eines nicht sichtbaren, schweren Begleiters sein. Das Team fand sechs Kandidaten, deren Bewegungen auf ein inaktives Schwarzes Loch in der Nähe hindeuten könnten.

Um diese Kandidaten zu überprüfen, beobachteten die Astronomen die sechs Sternsysteme zusätzlich mit mehreren erdbasierten Teleskopen, darunter dem Gemini-North-Teleskop auf Hawaii, um über Veränderungen der Radialgeschwindigkeit und die Lichtspektren die Bewegungen und Masse der beteiligten Objekte näher einzugrenzen.

Gaia BH1
Zoomschritte zum neu entdeckten Schwarzen Loch Gaia BH1. © T. Müller (MPIA), PanSTARRS DR1 (K. C. Chambers et al. 2016), ESA/Gaia/DPAC, CC-by-sa 3.0 IGO

Erstes eindeutig nachgewiesenes stilles Schwarzes Loch

Bei diesen Analysen blieb ein Kandidat übrig. Das Gaia BH1 getaufte System besteht aus einem sonnenähnlichen Stern und einem schwereren unsichtbaren Begleiter. „Unsere Folgeanalysen mit Gemini haben unzweifelhaft bestätigt, dass dieses Doppelsystem einen normalen Stern und mindestens ein inaktives Schwarzes Loch enthält“, sagt El-Badry. „Wir konnten kein plausibles astrophysikalisches Szenario finden, dass den beobachteten Orbit des Systems ohne Beteiligung mindestens eines Schwarzen Lochs erklären kann.“

Gaia BH1 ist damit das erste eindeutig nachgewiesene stille stellare Schwarze Loch der Milchstraße, wie die Astronomen erklären. Und nicht nur das: Das neu entdeckte Schwarze Loch liegt nur rund 1.560 Lichtjahre von der Erde entfernt. Damit ist es auch das erdnächste nachgewiesene stellare Schwarze Loch. Es ist rund ein Drittel so weit entfernt wie das nächste über seine Röntgenstrahlen-Freisetzung entdeckte Objekt dieser Art.

Paar so weit auseinander wie Erde und Sonne

Den Messungen der Astronomen zufolge ist das unsichtbare Schwarze Loch in Gaia BH1 rund zehn Sonnenmassen schwer, der sonnenähnliche Begleitstern bringt hingegen nur rund eine Sonnenmasse auf die Waage. Beide Objekte umkreisen sich in einem Abstand, der dem der Erde von der Sonne entspricht. „Mit einer Umlaufzeit von 185,6 Tagen ist der Orbit weiter als bei jedem anderen bekannten Doppelsystem mit stellarem Schwarzen Loch“, berichten El-Badry und seine Kollegen.

Aus ihren Analysen geht zudem hervor, dass das Doppelsternsystem wie einst unsere Sonne in der Hauptscheibe der Milchstraße entstand. Der sonnenähnliche Stern ist bereits einige Milliarden Jahre alt und zeigt keine Spuren einer außergewöhnlichen Interaktion mit dem Schwarzen Loch oder einem anderen Begleiter: „Wir haben die chemischen Häufigkeiten für 22 Elemente in der Photosphäre des Sterns gemessen – und finden sie absolut unauffällig“, berichten die Astronomen.

Wie hat der Stern das überlebt?

Das Merkwürdige jedoch: Der sonnenähnliche Stern dürfte den Übergang seines Begleiters zum Schwarzen Loch eigentlich nicht unbeschadet überstanden haben. Denn nach Berechnungen der Astronomen muss dieser Vorgängerstern mindestens 20 Sonnenmassen schwer gewesen sein und war daher entsprechend kurzlebig. Er müsste sich schon in der Frühzeit des kleineren Begleitsterns zum Überriesen aufgebläht und diesen verschlungen haben.

„Es ist interessant, dass dieses System nicht zu den Standardmodellen für die Entwicklung von Doppelsternsystemen passt“, sagt El-Badry. „Das wirft die Frage auf, wie sich dieses Doppelsystem bilden konnte.“ Ebenfalls rätselhaft ist, wie der Stern die Umwandlung seines Begleiters zum Schwarzen Loch so folgenlos überstehen konnte: Warum ist der Begleitstern dieses Schwarzen Lochs so normal?

Mehrere Entstehungswege möglich

Bisher können die Astronomen nur darüber spekulieren, wie der Stern seinem Schicksal entgangen ist. Wäre er dem Schwarzen Loch viel näher, hätte seine Gegenwart das Aufblähen des massereichen Vorgängersterns behindern und dessen Hülle vorzeitig ins All katapultieren können. Doch das war offenkundig nicht der Fall, wie El-Badry und sein Team erklären. Denkbar wäre allerdings eine Entstehung des Systems in einem Sternenhaufen. Dann könnten Schwerkraftturbulenzen den kleineren Begleitstern nachträglich in seine Bahn gebracht haben.

Ebenfalls möglich wäre es, dass es sich bei Gaia BH1 in Wirklichkeit um ein Dreifachsternsystem handelt. Dieses bestand aus zwei sich eng umkreisenden massereichen Sternen, die sich gegenseitig daran hinderten, zu Überriesen zu werden. Als sie dann in einer Supernova explodierten, entstanden zwei Schwarze Löcher, die sich heute so nah umkreisen, dass sie wie eines erscheinen. Nähere Untersuchungen dieses ungewöhnlichen Systems könnten feststellen, ob dies der Fall ist.

Gut geeignet für Folgebeobachtungen

„Wegen seiner langen Orbitalperiode und der geringen Entfernung zu uns erscheint Gaia BH1 am Himmel zehnmal größer als jedes andere bekannte Doppelsystem mit Schwarzem Loch“, erklären die Astronomen. „Das macht es zu einem exzellenten Ziel für Folgeuntersuchungen mittels Interferometrie.“ Auch Beobachtungen mit Röntgen- und Radioteleskopen könnten weitere wertvolle Informationen zu diesem ungewöhnlichen System liefern. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2022; doi: 10.1093/mnras/stac3140)

Quelle: NOIRLab, Max-Planck-Institut für Astronomie

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