Bisher sorgten Schaltsekunden dafür, dass die Weltzeit (UTC) synchron zur Erdrotation bleibt. Doch das soll sich nun ändern: Die Generalkonferenz für Metrologie hat beschlossen, dass es spätestens ab 2035 erst einmal keine Schaltsekunden mehr geben soll – mindestens hundert Jahre lang. Das soll Probleme und Unregelmäßigkeiten bei der Umstellung der digitalen Systeme vermeiden, könnte aber bedeuten, dass Weltzeit und Erdrotation bis dahin rund eine Minute voneinander abweichen.
Die Erdrotation gibt den Takt für unsere Zeit vor: Ein Tag dauert demnach 86.400 Sekunden – theoretisch. In der Praxis schwankt das Tempo der Erdrotation jedoch. Neben kurzfristigen Einflüssen durch Jahreszeiten, Erdbeben oder Wetterlagen hat vor allem der Mond eine langfristige Bremswirkung. Seine Gezeitenkräfte verlängern unsere Tage pro Jahrhundert um rund 1,78 Millisekunden. Entgegen dieses Trends hatte sich die Erdrotation im Jahr 2020 deutlich beschleunigt.
Damit die offizielle Weltzeit (UTC) mit der Erdrotation synchron bleibt, gibt es seit 1972 die Schaltsekunden: Wenn die Abweichung 0,9 Sekunden oder mehr beträgt, wird an Silvester oder in der Jahresmitte vor Mitternacht eine zusätzliche Sekunde eingeschoben. Die letzte Minute im alten Jahr hat dadurch 61 Sekunden. Zuletzt war dies Silvester 2016 der Fall.
Riskantes und uneinheitliches Umschalten
Das Problem jedoch: Für viele digitale, auf Atomuhren basierende Systeme ist das Einfügen einer Schaltsekunde nicht so einfach. Man muss die Zähler entweder eine Sekunde lang anhalten, die Sekundenzählung auf 61 erweitern oder aber den Grundtakt der Uhren kurz vor dem Umschalten verlangsamen. Je nach Land, Unternehmen oder Organisation wird dies bisher unterschiedlich gehandhabt. Google zum Beispiel bummelt die zusätzliche Sekunde in den 24 Stunden vor der Umschaltung allmählich ab.
Dadurch kann die Schaltsekunde zu vorübergehenden Abweichungen der verschiedenen Richtzeiten führen. Auch wenn diese nur Sekundenbruchteile betragen, kann dies beispielsweise in der Finanzwelt oder in digitalen Systemen erhebliche Folgen haben. Auch bei den Satellitennavigationssystemen gibt es Diskrepanzen: Das GPS-System ignoriert alle Schaltsekunden, das russische GLONASS-System hingegen macht sie mit.
Hinzu kommt: Theoretisch könnte wegen einer vorübergehend beschleunigten Erdrotation wie im Jahr 2020 eine negative Schaltsekunde fällig werden. Doch eine solche Kürzung der Weltzeit um eine Sekunde hat es noch nie zuvor gegeben. Ob das technisch überhaupt umsetzbar wäre, ist daher unklar.
Hundert Jahre Pause für die Schaltsekunden
Aus diesen Gründen hat nun die Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM) beschlossen, das System der Schaltsekunden zu ändern. „Die akzeptierte Maximaldifferenz zwischen Weltzeit und Erdrotation ist schon seit Jahren in der Diskussion“, so das Gremium. Denn es bestehe immer das Risiko für ernste Fehlfunktionen kritischer digitaler Infrastruktur. Deshalb habe man beschlossen, die zulässige Differenz zu erweitern.
Konkret sollen spätestens ab 2035 erst einmal keine Schaltsekunden mehr eingefügt werden – zunächst für mindestens die nächsten hundert Jahre. In dieser Zeit könnten Weltzeit und Erdrotation um bis zu einer Minute auseinanderdriften. Im Alltag und für die meisten zeitsensitiven Anwendungen hätte dies aber keine spürbaren Folgen – vor allem, weil die Zeitzonen und das System der Sommer- und Winterzeit weit größere Umstellungen mit sich bringen.
Details der Umsetzung noch offen
Bis 2035 sollen sich die internationalen Gremien zudem darauf einigen, welche Abweichung ab dann als akzeptabel gilt. Daran beteiligt sind neben der Generalkonferenz für Maß und Gewicht vor allem die Internationale Fernmeldeunion (ITU), eine UN-Organisation, das die technischen Aspekte der Telekommunikation regelt. Dieses Gremium wäre damit für die praktische Umsetzung der Pause für die Schaltsekunde und eine mögliche Neuregelung zuständig.
Allerdings: Die Abstimmung bei der CGPM war nicht einstimmig. Russland hat für ein Pausieren der Schaltsekunde erst ab 2040 gestimmt, weil sie mehr Zeit für die technischen Anpassungen benötigen. Vorerst ist der Beschluss der Generalkonferenz aber dennoch gültig. Ob und ab wann er praktisch umgesetzt wird und ob dann alle Länder mitziehen, wird sich zeigen müssen.
Quelle: Bureau International des Poids et Mesures (BIPM), Nature news