Medizin

Coronavirus: Wie Omikron entstand

Dominierende Variante von SARS-CoV-2 hat anderen Ursprung als bislang gedacht

Omikron-Variante
Die Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 entstand anders als bisher angenommen. © peterschreiber.media/ Getty images

Schleichender Beginn: Die heute dominierende Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 entstand anders als gedacht, wie Forschende herausgefunden haben. Demnach entwickelte sich diese Mutante weder in einem immungeschwächten Patienten noch im Tierreich – und auch nicht in Südafrika. Stattdessen gab es schon Monate vor dem ersten Omikron-Nachweis verschiedene, unabhängig voneinander gebildete Vorläufervarianten in Westafrika. Aus diesen entwickelte sich dann schrittweise Omikron, wie das Team in „Science“ berichtet.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist extrem anpassungsfähig und hat mehrfach neue Varianten gebildet, die sich weltweit ausbreiteten. Die jüngste und bislang erfolgreichste Mutante ist die im November 2021 erstmals in Südafrika nachgewiesene Omikron-Variante. Sie unterscheidet sich durch gleich 50 Mutationen vom Wildtyp des Virus, die ihr eine erhöhte Infektiosität und Teilimmunität gegen unsere Immunabwehr verleihen. Dank dieser Eigenschaft konnte Omikron die zuvor dominierende Deltavariante innerhalb weniger Wochen weltweit verdrängen.

Zwei Hypothesen, aber wenig Klarheit

Doch wie und wo ist Omikron entstanden? Bisher wurden vor allem zwei Hypothesen diskutiert: SARS-CoV-2 könnte in Afrika vom Menschen auf ein Tier übergesprungen sein und dort seine Mutationen angesammelt haben, bevor es dann wieder auf den Menschen zurücksprang. Oder aber Omikron entwickelte sich in einem Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem, wodurch es besonders viel Zeit und Möglichkeiten hatte, sich optimal anzupassen.

Um herauszufinden, welche Hypothese stimmt, hat sich ein internationales Team um Carlo Fischer von der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Afrika auf Spurensuche begeben. Sie analysierten dafür mehr als 13.000 Virusproben aus 22 afrikanischen Ländern, die in der Zeit von Mitte 2021 bis Anfang 2022 entnommen worden waren. Mithilfe eines speziellen PCR-Tests identifizierten sie Omikron-spezifische Varianten und unterzogen zusätzlich rund 670 Virusproben einer vollständigen Sequenzierung.

Viele Vorläufer schon Monate vorher

Das überraschende Ergebnis: Anders als bisher angenommen trat Omikron nicht zuerst in Südafrika auf – und auch nicht erst im November 2021. Stattdessen gab es schon im August und September 2021 Menschen in sechs verschiedenen west- und ostafrikanischen Ländern, die Omikron-ähnliche Coronavirus-Mutanten in sich trugen. „Phylogenetische Vergleich identifizierten sie als nahe und weiter entfernte Vorläufer der Omikron-Variante“, berichtet das Team.

Diese Omikron-Vorfahren zirkulierten zeitgleich in verschiedenen Regionen des Kontinents und besaßen bereits zwischen 38,3 und 66,7 Prozent der Mutationen, die später für die erste Omikron-Variante BA.1 kennzeichnend waren. Diese Daten sprechen damit klar gegen eine lineare oder monokausale Entstehung dieser Coronavirus-Variante, wie die Forschenden erklären. Stattdessen ist Omikron das Resultat einer graduellen Entwicklung aus mehreren unabhängig voneinander entstandenen Vorläuferformen.

Gängige Hypothesen widerlegt

„Unsere Daten zeigen, dass Omikron verschiedene Vorläufer hatte, die sich miteinander mischten und zur selben Zeit und über Monate hinweg in Afrika zirkulierten“, erklärt Seniorautor Jan Felix Drexler von der Charité. Im Laufe dieser Zeit konnte sich das Virus immer besser an die schon vorhandenen Immunreaktionen des Menschen anpassen und zur endgültigen, erfolgreichen Omikron-Variante BA.1 entwickeln. Diese Variante entstand demnach nicht allein in Südafrika, wurde dort aber im November 2021 erstmals nachgewiesen und breitete sich von dort aus über die Welt aus.

Damit widerlegen diese Ergebnisse beide bisher diskutierten Hypothesen zum Ursprung der Omikron-Variante: „Das plötzliche Auftreten von Omikron ist also nicht auf einen Übertritt aus dem Tierreich oder die Entstehung in einem immunsupprimierten Menschen zurückzuführen, auch wenn das zusätzlich zur Virusentwicklung beigetragen haben könnte“, sagt Drexler. Das Mutationsmuster widerspreche aber einer Entstehung allein in einem immungeschwächten Patienten.

Afrika als blinder Fleck

„Dass wir von Omikron überrascht wurden, liegt stattdessen am diagnostischen blinden Fleck in großen Teilen Afrikas, wo vermutlich nur ein Bruchteil der SARS-CoV-2-Infektionen überhaupt registriert wird“, erklärt Drexler. „Die Entwicklung von Omikron wurde einfach übersehen.“ Deshalb sei es wichtig, diagnostische Überwachungssysteme auf dem afrikanischen Kontinent und in vergleichbaren Regionen des globalen Südens deutlich zu stärken und den Datenaustausch weltweit zu erleichtern.

„Nur eine gute Datenlage kann verhindern, dass potenziell wirksame Eindämmungsmaßnahmen wie Reisebeschränkungen zum falschen Zeitpunkt ergriffen werden und damit mehr wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden anrichten als Gutes zu tun“, so der Virologe. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.add8737)

Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin

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