Physik

Lebensdauer des Higgs-Bosons eingegrenzt

Zerfallsbreite im Teilchenbeschleuniger LHC engt Raum für "neue Physik" weiter ein

Higgs-Boson
Teilchensignatur eines Higgs-Bosons, das im ATLAS-Detektor in zwei Z-Bosonen und dann in zwei Myonen und zwei Elektronen zerfällt. © CERN

Physiker haben eine entscheidende Eigenschaft des Higgs-Bosons näher eingegrenzt – seine Lebensdauer. Diese ist zu kurz, um im Teilchenbeschleuniger LHC direkt gemessen zu werden, lässt sich aber über die sogenannte Zerfallsbreite ermitteln. Messungen in zwei Detektoren des LHC haben nun den Spielraum für diesen Wert auf 3,2 bis 4,6 Megaelektronenvolt eingegrenzt. Dies entspricht einer Lebensdauer von maximal 180 Quadrillionstel Sekunden und stimmt mit den Voraussagen des Standardmodells überein.

Das 2012 erstmals nachgewiesene Higgs-Boson gilt als das Teilchen, das allen anderen Elementarteilchen ihre Masse verleiht. Je stärker diese mit dem Boson und dem mit ihm verbundenen Feld wechselwirken, desto schwerer werden sie. Einige dieser Interaktionen und auch weitere Eigenschaften des Higgs-Bosons haben Physiker seither mithilfe der Higgs-Zerfallsmuster im Large Hadron Collider (LHC) am CERN aufgeklärt.

Zerfallsbreite
Die Zerfallsbreite gibt an, über welchen Massenbereich bestimmte Zerfälle eines Teilchens gestreut sind. Beim Higgs-Boson sollte sie dem Standardmodell zufolge bei 4,1 Megaelektronenvolt liegen. © M. Javurkova/ATLAS Collaboration

Wie lange bleibt das Higgs-Boson stabil?

Doch eine wichtige Eigenschaft des Higgs-Bosons blieb bislang ungeklärt: seine genaue Lebensdauer. Zwar können die hochauflösenden Detektoren des LHC dies über die Flugbahnen der Zerfallsprodukte ungefähr rekonstruieren. Sie ermitteln dafür auf Basis der Laufzeiten, in welcher Entfernung vom Kollisionspunkt das Boson in etwa zerfallen ist. Das aber reicht nicht aus, um zu ermitteln, ob seine Lebensdauer mit den theoretischen Erwartungen übereinstimmt.

Deshalb ist bisher unklar, ob das Higgs-Boson auch in diesem Punkt den Vorhersagen des physikalischen Standardmodells entspricht. Das Spannende daran: Sollte dies nicht der Fall sein und das Teilchen beispielsweise länger überdauern als es dürfte, dann könnte dies auf noch unentdeckte Wechselwirkungen oder Teilchen hinweisen – und damit auf sogenannten „neue Physik“ jenseits des Standardmodells.

Zerfallsbreite im Visier

Jetzt ist es Physikern der ATLAS- und der CMS-Kollaboration am CERN gelungen, die Lebensdauer des Higgs-Bosons erstmals stark einzugrenzen. Dies gelang ihnen nicht über direkte Zeitmessungen, sondern über die sogenannte Zerfallsbreite. Diese beschreibt, in welchem Energie- und Massenbereich bestimmte Zerfälle eines Teilchens vorkommen. Je breiter dieser Bereich ist, desto kürzer ist die Lebensdauer des Teilchens.

Für ihre Messungen analysierten die beiden Forschungsteams die Produktion und den Zerfall des Higgs-Bosons mithilfe der sogenannten ZZ-Zerfälle. Bei dieser Zerfallsform entstehen aus dem Higgs-Boson zunächst zwei kurzlebige Z-Bosonen, die dann in vier weitere Teilchen zerfallen. Aus den Energien, bei denen diese ZZ-Zerfälle auftreten, lässt sich ermitteln, wie viele Higgs-Bosonen jenseits ihrer nominellen Masse von 125 Gigaelektronenvolt produziert wurden. Diese sogenannte Off-Shell-Rate wiederum erlaubt Rückschlüsse auf die Zerfallsbreite des Bosons.

Zur Analyse werteten die Physiker die Zerfallsdaten der Experimente ATLAS und CMS aus der zweiten Laufzeit des Teilchenbeschleuniger LHC aus. In dieser wurden Protonen mit der Energie von 13 Teraelektronenvolt zur Kollision gebracht.

Raum für noch unerkannte Effekte wird enger

Das Ergebnis: Beiden Teams gelang es, mithilfe ihrer Detektordaten eine Zerfallsbreite für das Higgs-Boson zu ermitteln. Die CMS-Kollaboration kam auf einen Wert von 3,2 Megaelektronenvolt, die ATLAS-Kollaboration auf 4,6 Megaelektronenvolt. Für die Lebensdauer des Higgs-Bosons bedeutet dies: Bei einer Zerfallsbreite von 4,6 Megaelektronenvolt wie von ATLAS gemessen, läge sie bei 180 Quadrillionstel Sekunden – eine Quadrillionstel Sekunde entspricht 10-24 Sekunden.

Beide Messwerte liegen damit im Bereich der vom Standardmodell vorhergesagten Zerfallsbreite von 4,1 Megaelektronenvolt – und engen die Spanne des tatsächlichen Werts stark ein. Der Raum für noch unerkannte Wechselwirkungen und Teilchen wird demnach entsprechend enger. Allerdings liegt die Signifikanz für beide Messwerte bei nur rund drei Sigma. Für einen gesicherten Nachweis braucht man in der Teilchenphysik aber einen Wert von mindestens fünf Sigma.

Die Physiker hoffen nun, in den Daten der dritten Laufzeit des Teilchenbeschleunigers noch klarere Werte zu erhalten. Denn bei dieser im Frühjahr 2022 begonnen Messphase kollidieren die Protonen mit noch höheren Energien, dadurch werden mehr Higgs-Bosonen produziert. Das erhöht die Ausbeute für messbare Higgs-Zerfälle. (Nature Physics, 2022; doi: 10.1038/s41567-022-01682-0; Higgs 2022 Conference)

Quelle: CERN

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