Kosmische Boten: Antimaterie-Teilchen können im All erstaunlich lange überdauern, ohne ausgelöscht zu werden, wie Daten aus dem Teilchenbeschleuniger LHC nahelegen. Demnach ist unsere Milchstraße für Antiheliumkerne zu rund 50 Prozent transparent. Sollten solche Antiteilchen durch Wechselwirkungen der Dunklen Materie entstehen, müssten sie daher in Erdnähe nachweisbar sein, wie Forschende in „Nature Physics“ berichten. Das könnte bei der Fahndung nach den lange gesuchten Teilchen der Dunklen Materie helfen.
Obwohl in unserem Universum Materie über Antimaterie dominiert, gib es viele physikalische Prozesse, bei denen Antiteilchen entstehen: beim radioaktiven Zerfall, in der kosmischen Strahlung uns sogar bei Blitzen. Diese Antiteilchen werden jedoch unter Energiefreisetzung ausgelöscht, sobald sie mit normalen Teilchen in Kontakt kommen. Wie schnell diese Annihilation unter verschiedenen Bedingungen und bei verschiedenen Antiteilchen stattfindet, ist bisher jedoch erst in Teilen geklärt.
Wie Antimaterie und Dunkle Materie zusammenhängen
Doch gerade kosmische Antiteilchen könnten entscheidende Informationen über eines der größten Rätsel der modernen Physik liefern: die Natur der Dunklen Materie. Sie prägt über ihre Gravitationswirkung zwar Form und Verhalten der Galaxien und die Materieverteilung im Kosmos. Bisher ist aber unbekannt, aus welchen Teilchen die unsichtbare und nicht direkt nachweisbare Dunkle Materie besteht.
An diesem Punkt kommt die Antimaterie ins Spiel, denn gängiger Theorie nach könnte sie bei der Wechselwirkung bestimmter Dunkle-Materie-Teilchen entstehen. „Die Beobachtung von Antikernen wie Antihelium-3 ist eine der vielversprechendsten Signaturen der Annihilation von Weakly Interacting Massive Particles (WIMP) der Dunklen Materie“, erklären Physiker der ALICE-Kollaboration am Forschungszentrum CERN bei Genf. Die WIMPs gelten als ein möglicher Kandidat für die Teilchen der Dunklen Materie.
Wie weit schafft es ein Antiteilchen im All?
Das Problem jedoch: Bisher war nicht klar, ob man solche beispielsweise im Milchstraßen-Zentrum gebildeten Antiteilchen überhaupt detektieren könnte. Denn dafür müssten sie tausende Lichtjahre weit durchs All fliegen, ohne ausgelöscht zu werden. Ob das möglich ist, haben nun die Physiker mithilfe der Protonen- und Bleikollisionen im Teilchenbeschleuniger LHC untersucht. Bei diesen Kollisionen entstehen neben vielen „normalen“ Teilchen auch Antiteilchen, darunter Antihelium-3-Kerne.
Aus den vom ALICE-Detektor aufgezeichneten Teilchenspuren lässt sich quantifizieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein solcher Antihelium-3-Kern mit dem Detektormaterial wechselwirkt und ausgelöscht wird. Diese Kollisionswahrscheinlichkeit bezeichnen Physiker als inelastischen Querschnitt. Diese aus den Teilchenspuren im Detektor ermittelten Daten speisten die Physiker in ein Modell ein, das die Umgebung der Milchstraße inklusive der Materie, Magnetfelder und anderer möglicher Störfaktoren abbildet.
Dadurch konnten die Forschenden erstmals ermitteln, wie weit die Antiheliumkerne unter galaktischen Bedingungen fliegen würden – und damit wie transparent die Milchstraße für Antimaterieteilchen dieses Typs ist.
Milchstraße: Die Hälfte kommt durch
Das Ergebnis: Unsere Milchstraße ist für Antiheliumkerne aus Dunkler Materie zu rund 50 Prozent durchlässig. Sollte es die hypothetischen Teilchen der Dunklen Materie geben, könnte demnach rund der Hälfte der von ihnen produzierten Antimaterie auch die Erde erreichen – selbst wenn sie zehntausende Lichtjahre entfernt entstanden sind. Für Antiheliumkerne, die durch die kosmische Strahlung entstehen, variiert die Transparenz der Milchstraße dagegen je nach Energie zwischen 25 und 90 Prozent.
„Unsere Ergebnisse zeigen damit erstmals auf Basis eines direkten Absorptionsexperiments, dass selbst Antihelium-3-Kerne aus Bereichen nahe dem Zentrum unserer Galaxie bis in Erdnähe gelangen können“, sagt ALICE-Sprecher Luciano Musa vom CERN. „Unsere Resultate demonstrieren damit, dass die Suche nach leichten Antimateriekernen aus dem All ein lohnender Weg für die Fahndung nach der Dunklen Materie sein kann.“
Detektor in der Erdumlaufbahn
Diese „Boten“ der Dunklen Materie müssten sich zudem relativ gut identifizieren lassen. Denn sie sind energieärmer und langsamer als die aus der kosmischen Strahlung stammenden Antiteilchen, wie die Physiker erklären. Dadurch ist das „Grundrauschen“ für die Antiheliumkerne mit „dunklem“ Ursprung relativ gering.
Einfangen ließen sich die aus der Dunklen Materie stammenden Antiheliumkerne unter anderem mit dem bereits auf der Internationalen Raumstation ISS installierten AMS-02-Instrument. Ab 2025 soll eine Ballonsonde die über der Arktis ankommende kosmische Strahlung auf Antihelium-3 untersuchen. (Nature Physics, 2022; doi: 10.1038/s41567-022-01804-8)
Quelle: Nature Physics, CERN, Technische Universität München