Biologie

Kaskade des Artensterbens droht

Bis 2050 könnten bis zu zehn Prozent der Wirbeltierarten ausgestorben sein

Diana-Meerkatze
Auch diese Diana-Meerkatze gehört zu den gefährdeten Wirbeltier-Arten. © Thorsten Spoerlein/ Getty images

Bedrohte Vielfalt: Kettenreaktionen des Aussterbens könnten in den kommenden Jahrzehnten zu einem massiven Verlust an Wirbeltierarten führen, zeigt eine Modellrechnung. Bis zum Jahr 2050 droht demnach der Verlust von zehn Prozent aller Wirbeltierarten, bis 2100 könnten sogar gut ein Viertel aussterben. Treiber dieses kaskadierenden Artenschwunds sind vor allem der Klimawandel und die menschliche Landnutzung. Ihre direkten und indirekten Effekte schwächen das gesamte ökologische Netz und damit weitere Spezies, wie das Team in „Science Advances“ berichtet.

Ob Wirbeltiere, Pflanzen oder Insekten: Die Artenvielfalt unseres Planeten schwindet rapide. Neben der Landnutzung durch den Menschen sorgt insbesondere der Klimawandel dafür, dass zahlreiche Spezies bedroht sind. Angesichts des massiven Artenverlusts sprechen Wissenschaftler bereits von einem sechsten Massenaussterben – dem größten seit Verschwinden der Dinosaurier. Welche Faktoren in welchem Maße daran beteiligt sind und wie künftige Entwicklungen aussehen könnten, ist allerdings aufgrund der hohen Komplexität schwierig zu prognostizieren.

ARtenschwund
Modellierter Verlust von Wirbeltierarten, Wechselwirkungen und ökologischen Beziehungen bis 2100 unter drei verschiedenen Klimaszenarien.© Strona und Bradshaw/ Science Advances, CC-by 4.0

Virtuelle Tierarten

Giovanni Strona vom Joint Research Centre der Europäischen Kommission in Ispra in Italien und Corey Bradshaw von der Flinders University in Adelaide in Australien haben nun ein Modell entwickelt, um solche Vorhersagen zu ermöglichen. Dabei fokussierten sie sich ausschließlich auf Wirbeltierarten und setzten vereinfachend voraus, dass dauerhaft genügend Pflanzen und wirbellose Tiere für deren Ernährung vorhanden sind.

Statt reale Tierarten in das Modell aufzunehmen, entschieden sie sich für sogenannte virtuelle Arten: „Bei solchen synthetischen Ansätzen ist eine virtuelle Art ein plausibles ökologisches Konstrukt, das eine Kombination von ökologischen Merkmalen aufweist, die mit realen Arten übereinstimmen, auch wenn sie ihnen nicht exakt entsprechen“, erklären die Autoren. „Daten aus der realen Welt dienen als Vorlage für die Erzeugung der virtuellen Arten und für die Ermittlung der grundlegenden ökologischen Regeln, die die Dynamik der Gemeinschaft steuern.“

Klimawandel als wichtigster Faktor

Der Vorteil an diesem Ansatz ist zum einen, dass die Autoren mit den virtuellen Tierarten auch Gebiete der Erde bevölkern können, für die die Informationen über die reale Zusammensetzung der Arten noch lückenhaft sind. Außerdem helfen die virtuellen Arten, den Blick auf das Wesentliche zu lenken – die Prozesse und Treiber der Veränderung – und dabei Vorannahmen über reale Tierarten und gegenwärtige Muster der biologischen Vielfalt außen vor zu lassen.

Das Ergebnis: „In allen simulierten Klimaszenarien war der Klimawandel für den größten Teil der direkten Aussterbeereignisse verantwortlich“, berichten Strona und Bradshaw. „Dieses Ergebnis widerlegt jedoch in keiner Weise, dass auch Landnutzungsänderungen ein wichtiger Faktor für den Verlust der biologischen Vielfalt sind; es unterstreicht vielmehr, dass der Klimawandel an Bedeutung gewinnt.“

Zudem verweisen die Autoren darauf, dass die Landnutzung durch den Menschen bereits in der Vergangenheit große Schäden für die Artenvielfalt verursacht hat – das Modell jedoch nur zukünftige Entwicklungen abbildet.

Kettenreaktion verstärkt Artenverlust

Würde man allerdings nur die direkten Effekte dieser Einflussfaktoren betrachten, würde man die Ausmaße des Aussterbens bei weitem unterschätzen, so die Autoren. Denn: Stirbt eine Art aus, gefährdet das auch weitere, von ihr abhängige Arten und kann so eine Kettenreaktion des Aussterbens auslösen. Dem Modell zufolge können solche Ko-Extinktionen den Effekt primärer Aussterbeereignisse deutlich verstärken – in der Modellrechnung um 184,2 Prozent.

„Unsere Ergebnisse deuten nicht nur auf einen weitaus größeren Verlust hin als bisher angenommen, sondern zeigen auch, dass der Verlust der biologischen Vielfalt mit einer zusätzlichen Schwächung der Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften einhergehen wird, da der Zusammenhalt ökologischer Netzwerke erodiert“, konstatieren die Wissenschaftler.

Größte Artenverluste schon bis 2050

Strona und Bradshaw weisen darauf hin, dass ihr Modell nicht den Anspruch erhebt, die reale Welt nachzubilden, sondern lediglich eine biologisch plausible Erde simuliert, die unserer wahrscheinlich sehr ähnlich ist. „Daher kann das Modell die Zukunft der Erde nicht vorhersagen, sondern projiziert stattdessen mögliche Szenarien auf der Grundlage verschiedener Annahmen und zeigt die zugrunde liegenden Prozesse auf, die zu diesen Ergebnissen führen“, erklären die Autoren.

Doch wenn sich unsere Erde ähnlich entwickelt wie die Simulation, befinden wir uns schon jetzt in der Phase mit den größten Verlusten der Artenvielfalt. „Dem Modell zufolge werden die größten Veränderungen der biologischen Vielfalt bereits vor 2050 spürbar“, so die Forscher. Das verdeutlicht, dass die düsterste Zeit für natürliche Gemeinschaften unmittelbar bevorstehen könnte und dass die nächsten Jahrzehnte entscheidend für die Zukunft der globalen Biodiversität sein werden.“ (Science Advances, 2022, doi: 10.1126/sciadv.abn4345)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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