Mysteriöser Galaxienring: Seit Jahrzehnten rätseln Astronomen über die kosmologischen Regeln widersprechende Anordnung der elf kleinen Satellitengalaxien der Milchstraße – sie scheinen alle in einer Ebene zu kreisen. Jetzt enthüllt eine neue Analyse: Die scheinbar ringförmige Anordnung täuscht und entsteht nur durch ein temporäres Zusammentreffen. In Wirklichkeit bewegen sich die Zwerggalaxien auf völlig verschiedenen Ebenen und werden schon in einigen hundert Millionen weit verstreut stehen.
Unsere Milchstraße bewegt sich nicht allein durch das All: Im Laufe der Zeit ist sie vielen kleineren Galaxien begegnet. Einen Teil dieser Zwerggalaxien hat sie zerrissen und in sich aufgenommen, andere wurden zu Trabanten unserer Heimatgalaxie. Zu diesen Satellitengalaxien gehören unter anderem die Magellanschen Wolken, Fornax, Sagittarius, Sculptor und die Leo-I- und Leo-II-Zwerggalaxien.
Das Rätsel des Zwerggalaxien-Rings
Das Merkwürdige jedoch: Die elf klassischen Satellitengalaxien scheinen die Milchstraße fein säuberlich aufgereiht zu umkreisen. Sie bilden einen dünnen Ring, der auch als Ebene der Satelliten bezeichnet wird. Doch ein solcher Ring widerspricht gängigen kosmologischen Modellen und insbesondere der Verteilung der Dunklen Materie in unserer Galaxie. Denn diese konzentriert sich im kugelförmigen Halo der Milchstraße und übt daher eine nach allen Seiten hin nahezu gleichmäßige Anziehung auf Trabanten aus.
Deshalb müssten gängigen Modellen zufolge auch die Satellitengalaxien ungeordnet in einer kugelförmigen Sphäre um die Milchstraße kreisen. Stattdessen scheinen sie einen schmalen Gürtel zu bilden. „Es gibt keinen bekannten Mechanismus, der eine solche Ebene von umkreisenden Satelliten erklären könnte“, sagen Till Sawala von der Universität Helsinki und seine Kollegen. „Dieses sogenannte ‚Problem der Satelliten-Ebene‘ widerspricht nicht nur dem kosmologischen ΛCDM-Modell, sondern dem gesamten Konzept der Dunklen Materie.“
Frischer Blick auf Sagittarius, Fornax und Co
Wie aber ist diese Diskrepanz zu erklären? Diese Frage beschäftigt Astronomen schon seit mehr als 50 Jahren. Doch bisher konnten sie keinen Mechanismus finden, der die merkwürdig konzentrierte Anordnung der Zwerggalaxien erklären würde. Auf der Suche nach einer Antwort haben Sawala und sein Team deshalb die Bahnen und Bewegungen der elf klassischen Satellitengalaxien noch einmal mithilfe der neuesten Daten des Gaia-Satelliten ausgewertet.
Die Analysen lieferten gleich zwei neue Erkenntnisse: Zum einen liegen die elf Zwerggalaxien weniger eng beieinander als bisher angenommen: Die Satelliten-Ebene umfasst 23,2 Grad statt nur 16. Zum anderen jedoch entspricht auch die Bewegung und Bahn der Zwerggalaxien nicht einem echten Ring, wie Sawala und sein Team feststellten. Stattdessen bewegen sich einige dieser Zwerggalaxien, darunter Leo I und Leo II, quer zum vermeintlichen Ring.
Zufällige Konjunktion statt gemeinsame Orbits
Das aber bedeutet: Der vermeintliche Gürtel aus Satellitengalaxien beruht auf einem bloß zufälligen Zusammentreffen der Satellitengalaxien in einer Ebene. Ähnlich wie auch die Planeten des Sonnensystems immer wieder einmal Konjunktionen bilden und sich in einer Linie aufreihen, ist dies auch bei den Zwerggalaxien der Milchstraße zurzeit der Fall. „Wir wissen nun, dass diese Satelliten-Ebene nur auf einem zufälligen Zusammentreffen beruht – es ist der klassische Fall des zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, erklärt Koautor Carlos Frenk von der Durham University in England.
Ähnlich wie die uns bekannten Sternbilder auf der zufälligen Anordnung weit voneinander entfernter und nicht miteinander verbundener Sterne beruhen, bilden auch die Satellitengalaxien nur scheinbar einen einheitlichen Ring. „Wenn wir uns das Ganze in einer Milliarde Jahren noch einmal anschauen würden, wäre dieser Ring längst wieder verschwunden“, so Frenk. Den Berechnungen zufolge werden sich die Zwerggalaxien schon in wenigen hundert Millionen Jahren deutlich sichtbar auseinander bewegt haben.
Kosmologisches Modell passt wieder
Das seit Jahrzehnten bestehende Rätsel der „Satelliten-Ebene“ unserer Milchstraße ist damit gelöst. Damit klärt sich auch der vermeintliche Widerspruch zu den gängigen kosmologischen Modellen und dem Konzept der Dunklen Materie: Wie nach diesen Modellen angenommen entspricht die Schwerkraftwirkung der Milchstraße weitgehend der kugelförmigen Verteilung der Dunklen Materie in ihrem Halo.
„Wir haben damit eine der größten Herausforderungen für die Theorie der kalten Dunklen Materie beseitigt“, konstatiert Frenk. „Damit bleibt dieses kosmologische Modell weiterhin eine bemerkenswert treffende Beschreibung der Evolution unseres Universums.“ (Nature Astronomy, 2022; doi: 10.1038/s41550-022-01856-z)
Quelle: Durham University