Missing Link: Erstmals ist es Forschenden gelungen, die geheimnisvollen Asgard-Archaeen im Labor zu kultivieren und einen Blick in ihr Inneres zu werfen. Die urtümlichen Einzeller gelten als mögliche Vorfahren der zellkerntragenden Eukaryoten – und damit auch aller Mehrzeller. Die ersten Analysen der Asgard-Archaeen bestätigen nun, dass sie tatsächlich schon einige eukaryotische Merkmale besitzen und damit ein Bindeglied der Evolution sein könnten, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Archaeen bilden neben Bakterien und Eukaryoten die dritte, besonders urtümliche Domäne des Lebens. Die ersten Vertreter dieser Organismen könnten schon vor Milliarden Jahren existiert haben – lange, bevor es die ersten komplexer aufgebauten Zellen mit Zellkern und verschiedenen Zellorganellen gab. Heute besiedeln Archaeen viele besonders extreme Lebensräume der Erde, darunter heiße Quellen und Tiefseesedimente, Salzstöcke und die Tiefe Biosphäre, aber auch unseren Darm.
Archaeen als Vorstufe zu Eukaryoten?
Doch wie schaffte das Leben einst den Sprung von den einfachen prokaryotischen Bakterien und Archaeen zu den komplexeren Eukaryoten? Gängiger Theorie nach spielten dabei die Archaeen eine entscheidende Rolle. Denn bei einigen dieser urtümlichen Mikroben, den sogenannten Asgard-Archaeen, entdeckte ein Forschungsteam vor einigen Jahren auffallend viele Gene, die zuvor nur von Eukaryoten bekannt waren. Diese ESP-Gene enthalten unter anderem Baupläne für das Zellskelett, die Zellmembranen und andere Merkmale komplexer Zellen.
Dies stützt die Theorie, nach der diese Archaeen die engsten Verwandten und Vorläufer der Eukaryoten sein könnten. Nach dieser nahm vor etwa zwei Milliarden Jahren ein solches Archaeon ein Bakterium in sich auf und machte es zu einem Zellbestandteil. Durch diese Endosymbiose entstanden die ersten Zellorganellen und letztlich die ersten eukaryotischen Zellen – so die Annahme. Eukaryoten und Asgard-Archaeen gelten seither als Schwestergruppen im Stammbaum des Lebens.
Das Problem jedoch: Die vorwiegend in der Tiefsee heimischen Asgard-Archaeen sind nur schwer im Labor zu kultivieren und zu erforschen. Erst 2020 gelang es einem japanischen Forschungsteam, erste spärliche Kulturen einer Asgard-Archaee anzulegen. Diese erbrachten aber zu wenig Zellen, um nähere Einblicke zu erlauben.
Erste dichte Kultur einer Asgard-Archaee
Doch jetzt ist es einem Team um Thiago Rodrigues-Oliveira von der Universität Wien erstmals gelungen, diese wichtigen Bindeglieder der frühen Evolution in ausreichender Dichte im Labor zu kultivieren und mittels mikroskopischer Methoden genauer zu charakterisieren. Als Versuchsobjekte diente ihnen die Asgard-Archaee Lokiarchaeum ossiferum, eine Archaeen-Art, die aus Meeressedimenten vor der Küste von Slowenien isoliert wurde.
„Es war eine aufwendige Feinarbeit, diesen extrem empfindlichen Organismus in einer stabilen Kultur im Labor zu erhalten“, berichtet Rodrigues-Oliveira. In ersten Versuchen mit verschiedenen Nährmedien stagnierte das Wachstum der Einzeller zunächst. „Erst als wir ein minimales Medium herstellten, aus dem alle organischen Kohlenstoffquellen bis auf eine entfernt waren, und dem wir Antibiotika zugesetzt hatten, gelang es“, so das Team.
In diesen minimalen Nährmedien konnten die Forschenden die Asgard-Archaeen erstmals zu einem stärkeren Wachstum bringen. Ihre Kulturen erreichten relative Dichten von 25 bis 80 Prozent. Das ermöglichte es den Wissenschaftlern, die Genaktivität dieser Einzeller zu analysieren und auch erstmals ihr Zellinneres mithilfe der Cryo-Elektronenmikroskopie sichtbar zu machen. „Dies ermöglicht einen dreidimensionalen Einblick in inneren Zellstrukturen“, erläutert Koautor Martin Pilhofer von der ETH Zürich.
Variable Membran und Actin-Zytoskelett
Die Aufnahmen enthüllten: Anders als normale Archaeen und Bakterien besitzen die Asgard-Archaeen eine komplex strukturierte Zellmembran mit zahlreichen Vorsprüngen und Verdichtungen. Dazu kommen weitere, längere Zellfortsätze: „Die Zellen bestehen aus runden Zellkörpern mit dünnen, teilweise sehr langen Zellfortsätzen. Diese Tentakel-ähnlichen Gebilde scheinen manchmal sogar unterschiedliche Zellkörper miteinander zu verbinden“, berichtet Koautor Florian Wollweber von der ETH Zürich.
Ebenfalls eine Besonderheit unter den Archaeen ist ein ausgedehntes Netzwerk aus Aktin-Filamenten, wie man es so bislang nur von eukaryotischen Zellen kannte. Genanalysen zeigen, dass dieses Zellskelett bei den Asgard-Archaeen aus einem sehr ähnlichen Material besteht wie das Actinskelett der Eukaryoten. „Dieses Lokiactin fungiert wahrscheinlich als Gerüst für die komplizierte Zellarchitektur der Asgard-Archaeen, ähnlich wie das Actin die eukaryotische Zellform prägt“, erklären die Forschenden.
Am Übergang zu den Eukaryoten
Zusammengenommen bestätigen diese Ergebnisse den Status der Asgard-Archaeen als Schwestergruppe der Eukaryoten und als Missing Link der Evolution zu komplexen Zellen. Die jetzt in den Zellen von Lokiarchaeum ossiferum beobachteten Strukturen haben nicht nur viele Ähnlichkeiten mit Zellstrukturen der Eukaryoten. Sie könnten es den Vorfahren dieser Archaeen einst auch ermöglicht haben, die für die Endosymbiose nötigen zellulären Prozesse zu bewerkstelligen.
„Die große Oberfläche der Zellfortsätze in Kombination mit der ungewöhnlichen, von vielen Oberflächenproteinen besetzten Zellhülle könnten den Asgard-Archaeen die komplexen Zell-Zell-Kontakte ermöglicht haben, die für die Eukaryogenese nötig waren“, konstatieren Rodrigues-Oliveira und seine Kollegen. Sie hoffen, dass weitere Untersuchungen dieser ungewöhnlichen Organismen noch mehr Einblicke in die möglichen Vorgänge am Beginn der Eukaryoten-Evolution liefern werden.
„Es hat sechs lange Jahre gedauert, eine stabile und hochangereicherte Kultur zu erhalten, aber jetzt können wir viele biochemische Studien durchführen und unsere Erfahrungen auch für Kultivierungen weiterer Asgard-Archaea einsetzen“, sagt Seniorautorin Christa Schleper von der Universität Wien. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05550-y)
Quelle: Nature, Universität Wien