Medizin

Warum alte Muskeln schlechter heilen

Ansammlung seneszenter Zellen hemmt die Muskelregeration durch Stammzellen

Muskeln
Im Alter schwinden die Muskeln und regenerieren sich nicht mehr so schnell. Aber warum? © Filip_Krstic/ Getty images

Im Alter schwinden oft die Muskeln und Muskelschäden heilen schlechter. Warum das so ist, haben Forschende nun aufgedeckt. Schuld ist demnach eine Anreicherung alter, sich nicht mehr teilender Zellen im Muskelgewebe. Diese seneszenten Zellen blockieren durch ihre Botenstoffe die Vermehrung und Aktivität der Muskelstammzellen und hemmen damit die Gewebereparatur. Wenn man jedoch die seneszenten Zellen und ihre Signale blockiert, lässt sich die Muskelregeneration wieder anregen, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Normalerweise sorgen Stammzellen dafür, dass Verletzungen, Zelldefekte oder andere Schäden in unseren Muskeln immer wieder repariert werden – erst diese ständige Geweberegeneration hält unsere Organe, Muskeln und Knochen funktionsfähig. Damit dies allerdings funktioniert, müssen die Stammzellen in ihren Gewebenischen durch Signale anderer Zellen „aufgeweckt“ werden, sich vermehren und zu den jeweils benötigten Ersatzzellen ausdifferenzieren.

„Die Rekonstruktion beschädigter Gewebe erfordert eine präzise getaktete Interaktion verschiedener Zelltypen innerhalb der regenerativen Stammzellnische“, erklären Victoria Moiseeva von der Pompeu Fabra Universität in Barcelona und ihre Kollegen.

seneszente Zellen
Seneszente Zellen (farbig) im Muskelgewebe. © Moiseeva et al.

Alte Zellen als Störfaktor?

Doch genau an diesem Punkt kommt ein Störfaktor ins Spiel, wie das Team nun herausgefunden hat: seneszente, sich nicht mehr teilende Zellen. Diese Zellen wurden von zelleigenen Kontrollmechanismen stillgelegt, um eine altersbedingte Entartung zu verhindern – in einer Art biologischer Notbremse. Diese seneszenten Zellen werden jedoch vom Körper nicht komplett beseitigt und reichern sich dadurch im Laufe des Lebens in den Geweben an.

Das hat schon früher den Verdacht geweckt, dass diese Zellen auch für viele altersbedingte Symptome verantwortlich sein könnten. Tatsächlich zeigte sich bei Mäusen bereits, dass diese nach Entfernung aller seneszenten Zellen im Alter fitter blieben und länger lebten. Moiseeva und ihr Team wollten deshalb wissen, ob diese Zellen möglicherweise auch die Regeneration von jungen und alten Muskeln beeinflussen.

Für ihre Studie nutzten die Forschenden zunächst einen Fluoreszenzmarker, um die Verteilung und Häufigkeit von seneszenten Zellen im gesunden und verletzten Muskelgewebe von Mäusen verschiedenen Alters sichtbar zu machen.

Verletzungen treiben Muskelzellen in die Seneszenz

Es zeigte sich: In den jungen gesunden Muskeln waren wie erwartet kaum seneszente Zellen zu finden. Das änderte sich jedoch, wenn die Mäusemuskeln alterten oder verletzt wurden. Dann reicherten sich diese alten Zellen vor allem in den Stammzellnischen der Muskeln rapide an – an den Orten, von denen eigentlich die Gewebereparatur ausgehen sollte.

Nähere Analysen enthüllten, dass diese schnelle Zunahme seneszenter Zellen dadurch ausgelöst wurde, dass viele ältere, aber noch funktionsfähige Zellen plötzlich in den seneszenten Zustand fielen. „Nach einer Verletzung werden einige Muskelzellen seneszent und erzeugen dadurch ein vorzeitig gealterte Mikroumgebung“, erklärt Koautor Antonio Del Sol von der Universität Luxemburg. Die betroffenen Zellen zeigen starken oxidativen Stress und vermehrte DNA-Schäden, die sie dann in den Alterungszustand treiben.

Ansteckungseffekt im Gewebe

Doch was löst dieses plötzlich Zellalterung aus? Mithilfe genetischer und biochemischer Analysen stellten die Forschenden fest, dass dahinter eine Art „Ansteckungseffekt“ durch die schon im Muskelgewebe vorhandenen seneszenten Zellen steckt. Diese geben bei Gewebeschäden vermehrt Botenstoffe ab, die Entzündungen und die Bildung von verhärtetem Bindegewebe fördern. Im Prinzip kommt es dadurch zu einer vorzeitigen Alterung der Zellumgebung rund um die für die Gewebereparatur wichtigen Stammzellen.

Medizin sprechen bei der alterstypischen Kombination von Entzündung und Gewebevernarbung auch vom „Inflammaging“. Während junge Körper diese Effekte in Teilen beheben könnten, indem das Immunsystem die überschüssigen seneszenten Zellen beseitigt, ist dies im Alter nicht der Fall. „Das im Alter in seiner Funktion geschwächte Immunsystem entfernt diese seneszenten Zellen nicht mehr und dadurch bleiben sie im geschädigten alten Muskel länger erhalten und reichern sich an“, erklären Moiseeva und ihre Kollegen.

Seneszente Zellen hemmen die Regeneration

Das hat Folgen: Die Präsenz dieser alten Zellen hemmt die Vermehrung und Differenzierung der Stammzellen im Muskel. Das wiederum führt dazu, dass Verletzungen und ähnliche Schäden nicht mehr oder nur noch langsam repariert werden können. Dieser Effekt ließ sich auch beobachten, wenn seneszente Zellen in verletztes Muskelgewebe transplantiert wurden. „Die seneszenten Zellen in den Stammzellnischen unterdrücken demnach die Regeneration“, erklären die Forschenden.

Diese vorzeitige Alterung der Stammzellnischen könnte auch erklären, warum ältere Menschen häufig an schleichendem Muskelschwund leiden: Mikroschäden und abgestorbene Gewebebereiche werden bei ihnen nicht mehr oder nur langsam repariert, weil sie von Natur aus mehr alte, seneszente Zellen in ihren Geweben haben.

Chance auf neue Therapien

Die neuen Erkenntnisse eröffnen aber auch die Chance, künftig mehr gegen den alterbedingten Muskelschwund und andere Störungen der Muskelheilung zu tun. Denn als das Forschungsteam bei ihren Mäusen die seneszenten Zellen oder ihre Botenstoffe blockierte, verbesserte sich die Muskelregeneration sowohl bei den jungen wie den alten Mäusen. „Weil sich solche seneszenten Zellen auch in menschlichen Muskeln anreichern, eröffnet dies neue Wege, um die Muskelreparatur zu verbessern“, erklären Moiseeva und ihre Kollegen.

Ähnlich sieht es auch der nicht an der Studie beteiligte US-Forscher David Glass von Regeneron Pharmaceuticals: „Diese Arbeit liefert uns frische Beweggründe dafür, nach Therapien zu suchen, die selektiv die seneszenten Zellen aus Geweben entfernen können, um die altersbedingte Muskelschwäche zu bekämpfen“, schreib er in einem begleitenden Kommentar. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05535-x)

Quelle: Nature, Universitat Pompeu Fabra, University of Luxembourg

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