Klima

Klimaschutz: Europa steckt zu wenig Geld in „grüne“ Infrastruktur

Jährlich 87 Milliarden Euro mehr sind fürs Erreichen des Netto-Null-Emissionsziels nötig

Klimaschutz
Um das von der EU gesetzte Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen, müssen Technologie und Wirtschaft dekarbonisiert werden. Doch wie viel Geld ist dafür nötig? © Galeanu Mihai/ Getty images

Defizit beziffert: Europa muss deutlich mehr Geld in klimarelevante Infrastruktur investieren, wenn es bis 2050 sein Ziel von Netto-Null-Emissionen erreichen will. Eine Metastudie enthüllt, dass jährlich 87 Milliarden Euro mehr Investitionen in erneuerbare Energien, Stromnetze, den Schienenverkehr und andere Technologien nötig sind – das entspricht 41 Prozent mehr als bisher veranschlagt. Der größte Sprung in den Investitionen muss zudem noch vor 2025 erfolgen, wie Forschende in „Nature Climate Change“ berichten.

Die Europäische Union hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden und ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zu reduzieren. Bereits im Jahr 2030 sollen dafür 55 Prozent weniger klimarelevante Emissionen ausgestoßen werden als noch 1990. Doch dafür sind erhebliche Investitionen in die Stromerzeugung, die Stromnetze, Speicherkapazitäten und andere klimarelevante Infrastrukturen erforderlich. Wie hoch diese Investitionen aber in den nächsten 15 Jahren ausfallen müssen und welche Bereiche dabei am wichtigsten sind, war bislang erst in Teilen geklärt.

Investitionen
Für den klimaneutralen Umbau der Infrastrukturen muss das Geld an der richtigen Stelle investiert werden. © ETH Zürich/ Adobestock

Konkretere Zahlen liefert nun eine Metastudie von Bjarne Steffen und Lena Klaaßen von der ETH Zürich. Sie haben die in Europa für die Dekarbonisierung der Infrastruktur nötigen Investitionen bis zum Jahr 2035 untersucht. Dafür werteten sie 628 Zeitreihen aus 56 in den letzten Jahren erschienen Studien aus, darunter 18 Fachpublikationen, 15 Studien von Regierungen oder internationalen Organisationen und 23 aus der Industrie.

87 Milliarden Euro mehr pro Jahr – ab sofort

Das Ergebnis: Um das Klimaschutzziel von Netto-Null-Emissionen im Jahr 2050 zu erreichen, müssen die Investitionen in grüne Infrastruktur deutlich zunehmen – und das ab sofort: „Der größte Sprung in den Investitionen muss schon in der Zeit von 2021 bis 2025 erfolgen“, berichten die Forschenden. Erforderlich wäre demnach eine sofortige Steigerung der bisherigen Investitionen auf 302 Milliarden Euro jährlich.

Das bedeutet: Die europäischen Länder müssten ab sofort rund 87 Milliarden Euro pro Jahr mehr für die klimaverträgliche Umgestaltung ihrer Infrastrukturen aufbringen als bisher veranschlagt. Dies repräsentiert einen Anstieg um 41 Prozent gegenüber bisherigen Werten. Ab 2030 wird zudem ein zweiter Investitionssprung nötig, bei dem noch einmal rund 14 Prozent mehr Geld in die grüne Infrastruktur fließt.

Eine sofortige Erhöhung der Investitionen auf 302 Milliarden Euro jährlich klingt zwar in absoluten Zahlen nach sehr viel. Betrachtet man sie jedoch in Bezug auf die Wirtschaftsleistung Europas, relativiert sich dies: „Die nötigen Gesamtinvestitionen bleiben in allen Zeitperioden deutlich unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts“, betonen Steffen und Klaaßen. Verglichen mit den bisherigen Werten müssten sich der in die Infrastruktur gesteckte Anteil des Bruttoinlandsprodukts daher nur um maximal 0,5 Prozent erhöhen.

Zu wenig Geld für erneuerbare Energien und Stromnetze

Die Studie legt auch offen, in welchen Bereichen die meisten Gelder nötig sind: „Am drastischsten und notwendigsten sind Veränderungen der Investitionen bei den Kraftwerken, den Stromnetzen und der Schienen-Infrastruktur“, berichten die Forschenden. Konkret veranschlagen sie für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und die Stromnetze jeweils einen Mehraufwand von jährlich 24 Milliarden Euro gegenüber bisherigen Budgets. Für neue Stromspeicher zur Zwischenspeicherung von Strom aus Sonne und Wind wären zusätzlich rund vier Milliarden Euro pro Jahr nötig.

„Diese Dynamik spiegelt eine neue Phase der Energiewende wider, in der sich der Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigt und qualitativ entwickelt“, erklären Steffen und Klaaßen. Es wäre daher dringend nötig, etablierte Finanzströme so umzuleiten, dass mehr Geld in die Transformation dieser Systeme fließt. Kaum nötig ist ihrer Einschätzung nach ein Ausbau der Öl- und Gasinfrastruktur. Selbst angesichts des Ukrainekriegs und der nötigen Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen seien hier kaum weitere Investitionen nötig.

Investitionsschub für den Schienenverkehr

Im Transportsektor fallen die erhöhten Investitionen vor allem deshalb an, weil es bei bisherigen Bemühungen während der 2010er Jahre nur ungenügende Fortschritte gab. Bei der Schiene müssen vor allem die Digitalisierung und Elektrifizierung des Zugverkehrs und die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene vorangebracht werden. Allein für die Modernisierung und den Ausbau des Schienenverkehrs sind dadurch jährlich 25 Milliarden Euro mehr an Investitionen nötig.

„Für die Politik ist sicher erhellend, dass zum Beispiel der Bedarf an Investitionen in Strom- und Schienennetze jeweils deutlich höher ist als für den Ausbau der Wasserstoff-Infrastrukturen und der Ladesäulen für Elektrofahrzeuge zusammengenommen – obwohl diese in den letzten Jahren viel stärker diskutiert wurden „, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Stefan Thomas vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Woher kommt das Geld?

Was kann die Politik tun, damit schnell mehr Kapital für den Ausbau grüner Infrastrukturen zur Verfügung steht? „Politische Maßnahmen sollten auf die Finanzierung in jenen Sektoren zugeschnitten sein, in denen der größte Investitionsbedarf besteht“, erklärt Klaaßen.  Angesichts der Größe der europäischen Aktien- und Anleihemärkte sei das Geld dafür durchaus vorhanden. Die Herausforderung bestehe aber vor allem darin, die nötigen politischen Weichen schnell genug zu stellen, damit das Kapital in die richtigen Projekte fließt.

Dabei ist es nach Ansicht der Forschenden auch wichtig, private Investoren wie Pensionsfonds und Banken zu berücksichtigen, die stark am Ausbau erneuerbarer Energien beteiligt sind. Die öffentliche Hand sollte deren Risiko durch Erlösgarantien und durch möglichst rasche und berechenbare Bewilligungsverfahren minimieren. Zudem können öffentliche Investitionen in neue Technologien wie zum Beispiel die CO2-Speicherung dazu beitragen, dass sich auch private Investoren in diese Bereiche vorwagen. (Nature Climate Change, 2023; doi: 10.1038/s41558-022-01549-5)

Quelle: ETH Zürich

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