Jungsteinzeitlicher Wachstumsschub: Als sich Landwirtschaft und Viehhaltung in Europa ausbreiteten, nahm auch die Körpergröße unserer Vorfahren messbar zu, wie Skelettanalysen belegen. Ursache für dieses Größenwachstum war wahrscheinlich das vermehrte Trinken von Kuhmilch, wie Forschende ermittelt haben. Denn Milch liefert nicht nur wertvolle Kalorien, es fördert auch die Produktion potenziell wachstumsfördernder Biomoleküle. Gerade Kinder und Jugendliche könnten damals davon profitiert haben.
Vor etwa 8.000 Jahren bahnte sich in Mitteleuropa ein fundamentaler Wandel an. Damals wanderten die ersten Bauern aus Südosteuropa ein und brachten die Landwirtschaft mit. Durch diese neolithische Revolution wandelten sich Jäger und Sammler allmählich zu sesshaften Bauern, die Nutzvieh hielten und Pflanzen anbauten. Anfangs brachten die harte Arbeit und die oft kargen Ernten allerdings nicht immer Vorteile: Einigen Studien zufolge könnten die ersten Bauern sogar kleiner und kränklicher gewesen sein als ihre Vorgänger.
Wachstumsschub in der Jungsteinzeit
Doch das blieb nicht so, wie nun Jay Stock von der Western University in Ontario und seine Kollegen herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie Größe und Körpergewicht von 3.507 Toten aus 366 Fundorten in Europa, Nordafrika und Asien. Die Skelette stammten dabei aus der Zeit von vor 34.000 Jahren bis heute. Ziel war es herauszufinden, ob Körpergröße und Statur dieser Menschen sich mit kulturellen Umbrüche wie die Einführung der Landwirtschaft veränderten.
Es zeigte sich: In vielen Regionen blieb die Körpergröße der Menschen vor Beginn der Jungsteinzeit entweder weitgehend gleich oder nahm leicht ab. Doch dann gab es unter anderem in Europa eine deutliche Trendwende: Mit der neolithischen Revolution wurden die Menschen allmählich größer und legten auch an Körpergewicht zu. Dieser Wachstumsschub begann in Mitteleuropa vor 8.000 bis 5.000 Jahren, in Nordeuropa rund tausend Jahre später.
Die Milch machts
Die Ursache für diesen jungsteinzeitliche Größenzuwachs sehen Stock und sein Team vor allem in einem Nahrungsmittel: der Milch. „Jeder von uns erinnert sich wahrscheinlich daran, dass ihm als Kind gesagt wurde: Trink deine Milch, damit du groß und stark wirst“, sagt Koautor Eóin Parkinson von der Queen’s University Belfast. Tatsächlich ist Milch relativ nahrhaft, außerdem fördert der in ihr enthaltene Milchzucker Laktose die Produktion des Wachstumsfaktors IGF-1 (Insulin-like Growth Factor 1).
Dieser Wachstumsfaktor spielt in der Kindheit und Jugend eine Rolle für das Knochenwachstum und damit auch das Größenwachstum. Damit die Milch dabei ihren positiven Effekt entfalten kann, muss der Milchzucker allerdings verdaut werden. Das geht aber nur, wenn das Enzym Laktase auch nach dem Säuglingsalter noch vom Körper produziert wird. Die meisten heutigen Europäer haben eine solche Laktase-Persistenz, aber in vielen anderen Regionen und auch in der Steinzeit war dies nicht der Fall.
Deutliche regionale Unterschiede
Der jungsteinzeitlichen Wachstumsschub zeichnet damit nach, wann und wo sich das Milchtrinken in Europa ausbreitete – und macht auch regionale Unterschiede sichtbar. „Das Milchtrinken hat nicht in allen Kulturen den gleichen Stellenwert und das genetische Erbe davon sehen wir noch heute“, sagt Stock. Dort, wo sich Landwirtschaft und Nutzierhaltung allmählich entwickelten und wo Milchvieh keine große Rolle spielte, fehlte der Größenzuwachs oder er verlief flacher.
In Europa dagegen, wo Einwanderer die Landwirtschaft mitbrachten, waren die Folgen deutlicher: Weil nicht alle mitgebrachten Nutzpflanzen im kühleren Klima Mittel- und Nordeuropas gediehen, waren die Menschen dort stärker auf die Viehhaltung angewiesen. Fleisch und Milchprodukte machten daher einen größeren Anteil ihrer Nahrung aus. Das förderte einerseits die Entwicklung der Laktosetoleranz, andererseits begünstigte es den Größenzuwachs durch das Milchtrinken, wie die Forschenden erklären. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2209482119)
Quelle: Queen’s University Belfast