Überschätzte Ozonbelastung: Eine zentrale Gleichung in Modellen der Atmosphärenchemie muss revidiert werden – zumindest für den städtischen Raum. Denn die Verkehrsabgase und Luftturbulenzen in der Stadt führen dazu, dass in der Luft mehr bodennahes Ozon abgebaut wird, als es diese Gleichung vorsieht. Auf ihrer Basis erstellte Prognosen oder Schätzwerte zur Luftgüte überschätzen dadurch die bodennahe Ozonbelastung um bis zu 50 Prozent, wie Messungen enthüllen.
In vielen Städten herrscht dicke Luft: Schadstoffe wie Feinstaub, Stickstoffdioxid oder bodennahes Ozon belasten die Luft und erhöhen das Risiko für viele Erkrankungen. Deshalb werden die Schadstoffwerte vor allem in der Stadtluft engmaschig durch Messstationen überwacht. Auf Modellen beruhende Prognosen sollen zudem dabei helfen, die Luftbelastung in der nahen Zukunft oder in nicht von Messungen erfassten Genbieten abzuschätzen.
Kreislauf der Schadstoffe
Das Problem jedoch: Die freigesetzten Schadstoffe bleiben meist nicht stabil, sondern werden in der Luft auf vielfältige Weise chemisch um- und abgebaut. So bildet sich beispielsweise das bodennahe Ozon unter Einfluss des Sonnenlichts aus Stickoxiden und flüchtigen organischen Kohlenwasserstoffen. Das Ozon wiederum oxidiert das von Dieselfahrzeugen ausgestoßene Stickstoffmonoxid zu Stickstoffdioxid – Stickoxide und Ozon bilden damit einen Reaktionskreislauf.
Dieser Schadstoff-Zyklus wurde bereits vor gut 60 Jahren von dem Chemiker Philip Leighton mathematisch beschrieben. Seither wird seine als Leighton-Beziehung bekannte Gleichung in Modellen der Atmosphärenchemie dazu genutzt, die Anteile von Ozon, Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid voneinander abzuleiten. In der Praxis dient dies zum Beispiel dazu, die Ozonbelastung in Gebieten abzuschätzen, von denen nur die Stickoxidwerte bekannt sind.
Weniger Ozon als prognostiziert
Doch wie zutreffend ist die Leighton-Beziehung? Gilt sie auch im dicht besiedelten urbanen Raum? Das haben nun Thomas Karl von der Universität Innsbruck und seine Kollegen überprüft. Dafür werteten sie die Daten eines 40 Meter hohen Luftmessturms aus, der in der Innenstadt von Innsbruck steht. Seine Instrumente erfassen pro Stunde rund 36.000 Messwerte zu verschiedensten Luftschadstoffen und Wetterparametern. Die Analysen umfassten fast vier Jahre an Daten vom Turm und weiteren, bodennahen Messtationen
Das Ergebnis: Die gemessenen Konzentrationen des bodennahen Ozons lagen deutlich niedriger als aufgrund von Atmosphärenchemie-Modellen zu erwarten war. Unter den Bedingungen der verkehrsreichen Innenstadt wurde der größte Teil des Ozons sehr schnell in Stickstoffdioxid umgewandelt, wie Karl und sein Team feststellten. Die in den Straßenschluchten entstehenden Luftturbulenzen verstärken diesen Prozess noch.
Leighton-Gleichung bei Stadtluft fehlerhaft
Das aber bedeutet: Gerade bei den hohen Stickoxidwerten der Stadtluft wird die Leighton-Gleichung ungenau und führt zu falschen Ergebnissen. Nutzt man Atmosphärenmodelle auf Basis der Leighton-Beziehung zur Abschätzung der städtischen Ozonwerte, kann dadurch der Anteil von bodennahem Ozon tendenziell überschätzt werden. „In Städten mit hohen Stickstoffmonoxid-Emissionen wird dieses Verhältnis um bis zu 50 Prozent überschätzt“, berichtet Karl.
Um solche Fehleinschätzungen beispielsweise in städtischen Luftgüteprognosen zu vermeiden, müssten die Modelle daher entsprechend angepasst werden. Dies gelte vor allem bei der Modellierung der untersten Schicht der Atmosphäre, bis zu 200 Meter über dem Boden, betonen die Forscher.
Allerdings bedeutet diese Korrektur nicht, dass bisherige Messwerte der Luftschadstoffe fehlerhaft sind. Betroffen sind nur die mithilfe von Modellen aus ihnen abgeleiteten Prognosen oder Schätzwerte. Ähnliches gilt für Umweltschutzmaßnahmen: „Wichtig bleibt festzustellen, dass umweltpolitische Vorschriften nicht auf Modellrechnungen rekurrieren, sondern abhängig von tatsächlich gemessenen Schadstoffkonzentrationen in Kraft treten“, betont Karl. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.add2365)
Quelle: Universität Innsbruck