Physik

Neues Modell für die Dunkle Materie

Änderte ein Phasenübergang die Wechselwirkung zwischen Dunkler Materie und anderen Teilchen?

Dunkle Materie
Die hellen Flecken zeigen die indirekt ermittelte Verteilung der Dunklen Materie im Galaxienhaufen Abell 1689. Doch woraus sie besteht, ist noch immer unbekannt. © NASA/ESA, D. Coe (NASA/JPL-Caltech), N. Benitez (Institute of Astrophysics of Andalusia, Spain), T. Broadhurst (University of the Basque Country, Spain) und H. Ford (Johns Hopkins University)

Abrupter Wandel im frühen Kosmos: Ein neues Modell könnte einige grundlegende Fragen und Widersprüche der Dunklen Materie klären. Denn in ihm postulieren Physiker, dass es im frühen Universum einen Phasenübergang gab, durch den sich die Wechselwirkung der Dunklen Materie mit normaler Materie verstärkte. Dadurch können diese Dunklen-Materie-Teilchen sehr leicht sein, aber trotzdem einen großen Schwerkrafteinfluss ausüben. Auch das bisherige Nichtfinden dieser Teilchen ließe sich so erklären.

Woraus besteht die Dunkle Materie? Wie entstand sie? Und warum lassen sich ihre Teilchen trotz intensiver Suche einfach nicht finden? Bisher gibt es zu all diesen Fragen viele Hypothesen, aber keine echten Antworten. Klar scheint, dass die Dunkle Materie rund ein Viertel des Kosmos ausmacht und die Verteilung, das Verhalten und die Entwicklung aller normalen Materie entscheidend prägt.

Es passt nicht zusammen

Doch die Stärke dieser Wechselwirkung, die dafür nötige Masse der Teilchen und die bisherigen Beobachtungen passen nicht zusammen. So geben kosmologische Modelle die Menge der im frühen Kosmos gebildeten Dunklen Materie relativ genau vor. Astrophysikalische Beobachtungen beispielsweise von Schwerkrafteinflüssen auf Galaxien wiederum lassen Rückschlüsse darauf zu, wie stark die Dunkle Materie mit normaler Materie und sich selbst wechselwirkt – und wie schwer die Teilchen sein müssten.

Das Problem jedoch: Bisher haben Wissenschaftler in den postulierten Massenbereichen nichts gefunden. Wären die Dunkle-Materie-Teilchen jedoch sehr viel leichter und hätten trotzdem diesen starken Einfluss auf Materie, dann widerspräche dies den Theorien zum frühen Universum. Denn dann hätte sich ein Großteil dieser Dunkle-Materie-Teilchen schon damals gegenseitig auslöschen müssen.

Leichter als bisher gedacht?

Einen neuen Erklärungsversuch für diese Diskrepanzen haben nun Gilly Elor von der Universität Mainz und ihre Kollegen unternommen. Dafür haben sie untersucht, ob ein ultraleichtes Dunkle-Materie-Teilchen mit weniger als einem Gigaelektronenvolt Masse mit den astrophysikalischen Beobachtungen und kosmologischen Modellen vereinbar wäre. Das Team hat diese hypothetischen Teilchen „HighlY Interactive ParticlE Relics“, kurz HYPER, getauft.

HYPER-Modell
Diesen Parameterbereich von Masse und Intensität der Wechselwirkung deckt das HYPER-Modell ab. © Gilly Elor

Die physikalische Modellierung ergab: Ein solches leichtes, aber intensiv wechselwirkendes Teilchen der Dunklen Materie würde durchaus zu den astrophysikalischen Beobachtungen passen. Gleichzeitig könnte es erklären, warum bisherige Experimente und Detektoren nicht fündig wurden – sie können diesen Massebereich noch nicht erfassen. Das wird erst bei kommenden Detektoren der Fall sein. „Das HYPER-Modell der Dunklen Materie ist in der Lage, beinahe den gesamten Bereich, den die neuen Experimente zugänglich machen, abzudecken“, sagt Elor.

Phasenübergang änderte Interaktion

Doch damit das HYPER-Modell auch kosmologische Vorgaben zum frühen Kosmos erfüllt, fehlt noch eine entscheidende Komponente: Die Interaktion des Dunkle-Materie-Teilchens mit anderen Teilchen muss im frühen Kosmos schwächer gewesen sein als heute. „Unsere zentrale Idee ist, dass sich die Wechselwirkung einmalig sprunghaft ändert“, erklärt Koautor Robert McGehee von der University of Michigan. Dies verhindert, dass damals zu viel Dunkle Materie ausgelöscht wurde, erklärt aber gleichzeitig ihr heutiges Verhalten.

Der Clou dabei: Eine solche abrupte Änderung von Kräften und physikalischen Feldern ist weniger exotisch als es klingt. Denn gängigen Modellen zufolge gab es im frühen Universum gleich mehrere Phasenübergänge, die solche grundlegenden Änderungen mit sich brachten. Ausgelöst wurden sie durch die rapide Abkühlung und Abnahme der Energiedichte nach dem Urknall. Erst dies führte beispielsweise dazu, dass sich die vier Grundkräfte der Physik auftrennten und ihre Mittlerteilchen aus der Ursuppe „ausfroren“.

„Das Beste aus beiden Welten“

Und einen solchen Phasenübergang könnte dem HYPER-Modell zufolge auch die Dunkle Materie durchlebt haben. „Wir haben die Menge an Dunkler Materie berechnet, die es im Universum gibt, und anschließend den Phasenübergang mit unseren Rechnungen simuliert“, erklären Elor und ihre Kollegen. „Hier mussten wir systematisch viele Szenarien bedenken und einbeziehen. Aber am Ende konnten wir uns davon überzeugen, dass unser HYPER-Modell funktioniert.“

Dem Modell zufolge „fror“ bei dem Phasenübergang im frühen Kosmos das Kraftteilchen aus, das die Wechselwirkung der Dunklen Materie mit anderen Teilchen bestimmt – und dadurch wurde diese Wechselwirkung abrupt stärker. „So haben wir das Beste aus beiden Welten: die richtige Menge an Dunkler Materie und eine große Wechselwirkung, so dass wir sie nachweisen können“, erläutert McGehee. Sollte sich dieses HYPER-Modell bestätigen, dann könnten die Teilchen der Dunklen Materie deutlich leichter sein als bisher angenommen. (Physical Review Letters, 2023; doi: 10.1103/PhysRevLett.130.031803)

Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, University of Michigan

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