Fakt oder Wunschvorstellung? Das mit Baumwurzeln verknüpfte Pilzgeflecht im Waldboden soll wahre Wunderdinge leisten: Die Mykorrhiza dient den Waldbäumen als Kommunikationsnetzwerk, als Transportweg für Nährstoffe und als Versorgungsleitung zwischen alten Bäumen und Jungpflanzen – so das in Büchern und Medien propagierte Bild des pilzlichen „Wood-Wide-Web“. Doch wie fundiert sind diese Behauptungen? Das haben Mykorrhizaforscher jetzt genauer überprüft.
Viele Bäume leben in Symbiose mit Wurzelpilzen, der Mykorrhiza. Die feinen Hyphen dieser Pilze durchdringen das Erdreich weiter als die Baumwurzeln und transportieren im Wasser gelöste Nährstoffe herbei. Im Gegenzug liefert der Baum dem Pilz Zucker, den er in seinen Blättern durch Photosynthese produziert hat. Unstrittig ist, dass diese Symbiose beiden Partner Vorteile verschafft, möglicherweise spielte sie sogar eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der ersten Landpflanzen.
„Wood-Wide-Web“ auf dem Prüfstand
Doch wie weit reichen die Vorteile der Mykorrhiza? In jüngster Zeit machten Meldungen Schlagzeilen, nach denen das Pilzgeflecht im Waldboden ein weitreichendes Verbindungsnetzwerk zwischen den Bäumen bildet. Über dieses „Wood-Wide-Web“ sollen die Bäume untereinander Nährstoffe und Kommunikationssignale austauschen, beispielsweise in Form chemischer Alarmstoffe bei Schädlingsbefall. Besonders Jungpflanzen sollen über dieses Pilznetzwerk entsprechende Hilfe von Altbäumen erhalten, so das gängige Bild.
„So populär diese Vorstellung auch ist – es stellt sich die Frage, ob es für diese Behauptungen überhaupt belastbare wissenschaftliche Belege gibt“, konstatieren Justine Karst von der University of Alberta in Kanada und ihre Kollegen. Das Team von Mykorrhizaforschern hat deshalb die drei Kernbehauptungen zum „Wood-Wide-Web“ anhand der veröffentlichten Studien zu diesem Thema noch einmal eingehend überprüft.
Sind die Pilzverbindungen überhaupt durchgängig?
Das Ergebnis: Fast alle populären Aussagen zu solchen waldumspannenden Mykorrhiza-Netzwerken beruhen nicht auf eindeutigen Belegen, sondern gehen auf widersprüchliche, spärliche und oft methodisch unsaubere Untersuchungen zurück. „Es ist zwar erfreulich, dass die Forschung zu Mykorrhiza-Netzwerken ein so großes Interesse für Wurzelpilze geweckt hat. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass viele populäre Vorstellungen nicht auf einer soliden wissenschaftlicher Basis stehen“, sagt Kast.
Konkret ergab die Überprüfung problematische Überinterpretationen in drei Aspekten. Der erste: Ob das Pilzgeflecht im Wurzelbereich benachbarter Bäume tatsächlich miteinander verbunden ist und vom selben Pilzorganismus stammt, ist bisher nur schwer beweisbar. Es fehlt schlicht an Methoden, solche durchgehenden Verbindungen nachzuweisen. „Auch wenn Nachbarbäume Mykorrhiza der gleichen Pilzart aufweisen, kann jeder Baum dennoch von verschiedenen, getrennten Klonen dieses Pilzes kolonisiert sein“, erklären die Forschenden.
Bisher wurden übereinstimmende Pilzklone nur bei zwei Baumarten in drei Wäldern nachgewiesen – von rund 73.300 Baumarten weltweit. Nur in drei Fällen wurden die Verbindungen von Mykorrhiza-Pilzen eingehender überprüft. „Die Häufigkeit, mit der Mykorrhiza-Netzwerke in Wäldern vorkommen, könnte daher stark überschätzt sein“, berichten Kast und ihr Team.
Nährstoff-Transport nicht nur über Pilzfäden
Der zweite Aspekt ist der Transport von Nährstoffen durch das Pilznetzwerk. Der populären Vorstellung nach tauschen Bäume darüber Phosphor, Stickstoff und andere Pflanzennährstoffe aus und fördern so gegenseitig ihr Wachstum. Bisher wurde dies meist untersucht, indem der Wurzelballen einzelner Jungpflanzen mit feinen Netzen oder Folien von den Pilzfäden der Nachbarbäume abgetrennt wurde. Gedeiht der Jungbaum dann schlechter, muss der gekappte Nährstofftransport durch das Pilznetzwerk der Grund sein – so die Annahme.
Doch diese Schlussfolgerung ist nicht zulässig, wie Kast und ihr Team erklären. Denn das schlechtere Wachstum der isolierten Pflanzen kann auf mehrere andere Gründe zurückgehen. So kann die Umhüllung des Ballens auch das Wachstum der Wurzeln stören, außerdem konnten die meisten dieser Tests nicht ausschließen, dass Nährstoffe auch ganz ohne Pilzhyphen einfach über das Porenwasser transportiert werden.
„Keinerlei Belege“ für Signalaustausch
„Bei jeder Studie, die das Mykorrhiza-Netzwerk als Mittler des zwischenpflanzlichen Ressourcentransfers interpretiert hat, können die Ergebnisse auch ohne Existenz dieses Netzwerks erklärt werden“, berichten die Mykorrhizaforscher. „Das bedeutet nicht, dass es diese Netzwerkeffekte nicht gibt. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass sie bisher in Feldversuchen nicht eindeutig belegt wurden.“
Ähnliches gilt für den dritten Aspekt. Nach dieser These sind alte Bäume vor allem mit jungen Bäumen über das Mykorrhiza-Netzwerk verbunden und fördern deren Wachstum durch Nährstoffe und auch chemische Warnungen vor Schädlingen. „Für diese Annahmen haben wir in veröffentlichten, einer Peer-Review unterzogenen Studien keinerlei Belege finden können“, so Kast und ihr Team. Die wenigen bisher durchgeführten Tests hatten widersprüchliche Ergebnisse. In einer fand gerade bei Wurzelkontakt kein Signalaustausch statt, in einer anderen erfolgte dies über im Bodenwasser gelöste Substanzen.
Verzerrungen auch in der Wissenschaft
„Wir schließen daraus, dass die populären Aussagen über die einzigartig positiven Effekte der Mykorrhiza-Netzwerke nicht auf wissenschaftlichen Belegen fußen“, Kast und ihre Kollegen. Daran sei die Wissenschaft selbst aber nicht unschuldig. Denn selbst in Fachartikeln würden die Resultate anderer Studien zu diesem Thema oft zu positiv eingeschätzt und dadurch ein falsches Bild gezeichnet. Dadurch werde nicht klar, wie kontrovers und wenig fundiert der bisherige Forschungsstand zu Mykorrhiza-Netzwerken sei.
„Den Forschungsstand zu Mykorrhiza-Netzwerken auf diese Weise zu verzerren, ist auch deshalb ein Problem, weil fundierte Wissenschaft essenziell für Entscheidungen zur richtigen Waldwirtschaft sind“, betonen Kast und ihr Team. „Es wäre voreilig, Entscheidungen und Praktiken ohne weitere Belege an das Pilznetzwerk anzupassen. Zudem untergräbt eine falsche Darstellung der Faktenlage das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft.“ (Nature Ecology & Evolution, 2023; doi: 10.1038/s41559-023-01986-1)
Quelle: Nature, University of Alberta