Nach 150 Jahren geklärt: Schon seit langem rätseln Paläontologen, warum einige in der Nähe von Stuttgart gefundenen Saurier-Fossilien so ungewöhnlich klein sind. Jetzt liefern Analysen des Knochenwachstums dieser krokodilähnlichen Aetosaurier die Erklärung: Bei den Exemplaren handelt es sich nicht um eine eigene, zwergenhafte Art, sondern um frühe Jungtiere. Dass gleich 24 dieser Jungtiere dicht gedrängt gefunden wurden, könnte auf Nestgruppen oder andere Sozialverbände dieser Urzeit-Reptilien hindeuten.
Die krokodilähnlichen Aetosaurier gehören zu den sogenannten Archosauriern und lebten vor rund 215 Millionen Jahren. Die zwischen zwei und sechs Meter lange Tiere waren dick gepanzert, liefen auf allen Vieren und ernährten sich sowohl von Pflanzen als auch räuberisch. Fossilfunde legen nahe, dass diese Sauriergruppe im Zeitalter der Trias fast weltweit verbreitet waren, auch in Deutschland gibt es mehrere Fundstellen der Aetosaurier.
24 Mini-Saurier auf einen Streich
Doch ausgerechnet eine der ältesten und reichsten Aetosaurier-Fundstellen in Deutschland passt nicht ins Bild. Die schon im Jahr 1877 in Kaltental bei Stuttgart entdeckten 24 Fossilien sind nur 20 bis 82 Zentimeter groß – und damit viel kleiner als für diese Sauriergruppe üblich. Die Funde wurden der Art Aetosaurus ferratus zugeordnet. Ein ganz in der Nähe entdecktes Fossil von rund zwei Meter Länge sah den Mini-Sauriern zwar ähnlich, wurde aber wegen des Größenunterschieds als eigene Spezies, Paratypothorax andressorum, eingestuft.
Aber schon von Beginn an warf die geringe Größe der Aetosuaurus-Funde aus Kaltental Fragen auf. Es wurde immer wieder diskutiert, ob es sich bei diesen Mini-Sauriern wirklich um ausgewachsene Exemplare handelte oder vielleiht doch nur um die Jungtiere einer bereits bekannten Aetosaurier-Art. Indizien für Letzteres könnte die zarte Panzerung und teilweise noch unvollständig Verknöcherung der Skelettteile liefern.
Wachstumsringe im Knochen als Altersanzeiger
Gewissheit schafft nun eine neue Untersuchung der Aetosaurus-Knochen durch Paläontologen um Elzbieta Teschner von der Universität Bonn und der Universität Opole in Polen. Dafür entnahmen sie Dünnschnitt-Querschnitte vom Oberarmknochen des kleinsten und größten Exemplars der Mini-Saurier aus Kaltental und führten zusätzlich Mikrotomografische Analysen durch. Besonderes Augenmerk galt dabei dem Wachstumsmuster des Knochengewebes.
„Langknochen sind ein gutes Modell für die Berechnung des Alters von Tieren, da sie während ihres Lebens Wachstumsringe ablagern, die gezählt werden können – ähnlich wie die Wachstumsringe in Baumstämmen”, erklärt Koautorin Dorota Konietzko-Meier von der Universität Bonn. Indem die Forschenden die knöchernen Wachstumsringe der Mini-Saurier aus Kaltental mit denen anderer Aetosaurier verglichen, konnten sie das Lebensalter der Tiere zum Zeitpunkt ihres Todes ermitteln.
Jungtiere statt eigene Art
Das Ergebnis: „Sowohl der kleinste als auch der größte Oberarmknochen aus dieser Fundstätte stammen den histologischen Analysen zufolge von Tieren, die weniger als ein Jahr alt waren“, berichten die Paläontologen. Das lege nahe, dass es sich bei allen 24 Exemplaren aus Kaltental um frühe Jungtiere handelte. Damit bestätigen diese Resultate frühere Vermutungen, nach denen die 24 Mini-Saurier keine Zwergform der Aetosaurier darstellen, sondern noch nicht ausgewachsen waren.
Das bedeutet aber auch, dass die Aetosaurier aus Kaltental vielleicht doch keine eigene Art repräsentieren. Ähnlichkeiten zum Schädel des nur rund 50 Kilometer entfernt gefundenen Paratypothorax andressorum legen nahe, dass die Jungtiere zu dieser Spezies gehören könnten. „Wir können nicht ausschließen, dass Aetosaurus und Paratypothorax verschiedene ontogenetische Stadien derselben Art darstellen“, schreiben Teschner und ihre Kollegen.
Erster Beleg für Gruppenleben bei Aetosaurus
Interessant auch: Bisher nahmen Paläontologen an, dass die 24 eng beieinander liegenden Aetosaurus-Fossilien nachträglich auf einem Haufen zusammengeschwemmt worden sind – beispielsweise durch die Strömung eines Flusses. Doch die neueren Analysen sprechen gegen dieses Szenario. „Es gibt keine Indizien für einen postmortalen Transport“, erklärt das Forschungsteam. Auch der intakte Zusammenhalt der Skelette passt nicht ins Bild.
Stattdessen könnte es sich bei den 24 kleinen Sauriern um Jungtiere aus einem Gelege handeln, die auch nach ihrem Schlupf über Wochen und Monate zusammenblieben. „Noch lebende Reptilien unterscheiden sich stark darin, wie lange Nestlinge zusammenbleiben, die Spanne reicht von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren“, erklären Teschner und ihre Kollegen. Sie halten es daher für durchaus wahrscheinlich, dass es sich auch bei den kleinen Aetosauriern um Geschwister handelte, die in einem Sozialverbund zusammenlebten.
„Diese Aetosaurus-feratus-Aggregation repräsentiert damit den ersten Beleg für ein geselliges Verhalten bei Aetosauriern“, schreiben die Forschenden. Das Zusammenleben in der Gruppe könnte den Jungtieren einen besseren Schutz vor Fressfeinden geboten haben und so ihre Überlebenschance erhöht haben, so die Vermutung der Paläontologen. (Journal of Vertebrate Paleontology¸2023; doi: 10.1080/02724634.2023.2168196)
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn