Die Arktis heizt sich durch den Klimawandel stärker auf als jede andere Region der Erde. Das arktische Meereis schrumpft rapide. Allein zwischen 1994 und 2017 hat es 7,6 Billionen Tonnen Eis eingebüßt, wie eine Studie im Jahr 2021 enthüllte. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte der Arktische Ozean im Sommer sogar gänzlich eisfrei sein. Dadurch fällt eine gigantische Eis-Barriere, die arktische Arten nicht mehr von ihren Verwandten isoliert und somit Begegnungen mit ihnen wieder ermöglicht.
„Pizzly-Bären“ auf dem Vormarsch
Ein solches „Wiedersehen“ findet aktuell zwischen Eisbären und Grizzly-Bären statt. Während die Eisbären aufgrund des schmelzenden Meereises immer mehr Zeit auf dem Festland verbringen, weiten die Grizzly-Bären gleichzeitig ihre Reviere nordwärts aus, wo sie weniger gejagt werden. Dass die Begegnungen zwischen beiden Arten zu Nachwuchs führen, bestätigte sich im Jahr 2006. Jäger hatten in den kanadischen Northwest Territories einen vermeintlichen Eisbären erlegt, doch bei genauerer Betrachtung fielen ihnen ungewöhnliche braune Fellflecken auf. Eine DNA-Analyse enthüllte: Das Tier war halb Eisbär und halb Grizzly. Und es ist nicht der einzige Hybride dieser Art.
Wie viele dieser „Pizzlys“, „Grolar Bären“ oder „Cappuccino-Bären“ genannten Hybride aktuell in der Arktis existieren, ist unklar. Doch Wissenschaftler vermuten, dass ihre Zahl stetig steigt, da sie auch selbst Nachkommen zeugen können. Cappuccino-Bären vereinen Merkmale beider Elternarten. Ihr Fell ist cremefarben und ihr Schädel ähnlich länglich wie der eines Eisbären. Gleichzeitig haben sie den Buckel und die braunen Krallen eines Grizzlys.
Vielleicht könnte ihnen diese Merkmals-Mischung einen entscheidenden Überlebensvorteil gegenüber reinen Eisbären liefern. „Es besteht die Möglichkeit, dass diese Hybriden in der Lage sind, ein breiteres Spektrum an Nahrungsquellen zu erschließen“, sagt Larisa DeSantis von der Vanderbilt University in Tennessee in einem Interview mit „Live Science“. Eisbären sind stark auf weiche Nahrung wie Robbenfleisch und -blubber spezialisiert, wohingegen Grizzly-Bären Zugriff auf viele verschiedene Nahrungsquellen haben. Die Grizzly-Einflüsse könnten die Hybriden besser für ein Leben auf dem arktischen Festland wappnen als es bei reinen Eisbären der Fall ist.
Auch arktische Gewässer wimmeln von Hybriden
Doch Cappuccino-Bären sind bei Weitem nicht die einzigen Hybriden, die das schmelzende Meereis ermöglicht hat. „Es ist bekannt, dass sich Weißflankenschweinswale vor der Küste von British Columbia mit Gewöhnlichen Schweinswalen paaren, und Robbenhybride wurden bei Museumsexemplaren und in freier Wildbahn nachgewiesen“, berichten Forscher um Brendan Kelly vom National Marine Mammal Laboratory der NOAA in einem „Nature“-Kommentar aus dem Jahr 2010. Dazu gehören Paarungen zwischen Largha-Robbe und Seehund sowie zwischen Sattel- und Mützenrobbe.
In den späten 1980er Jahren habe man in Westgrönland außerdem einen Wal gefunden, der wohl am ehesten als Narwal-Beluga-Mix einzuordnen war: ein sogenannter Narluga. Im Jahr 2009 folgte im Beringmeer zwischen Alaska und Russland die Sichtung eines Tieres, das zumindest äußerlich als Hybride aus Grönlandwal und Pazifischem Nordkaper (einer weiteren großen Walart) identifiziert wurde.
Doch auch diese Sichtungen werden dem vollen Ausmaß an arktischer Hybridisierung offenbar immer noch nicht gerecht. In ihrem „Nature“-Beitrag schätzen Kelly und seine Kollegen auf Basis einer stichprobenartigen Erhebung, dass allein unter arktischen und subarktischen Meeressäugern 34 mögliche Hybridisierungen existieren. Zwölf davon finden zwischen verschiedenen Arten statt, der Rest zwischen zuvor isolierten Populationen oder Unterarten.
Aber was sagt uns diese Entwicklung? Ist sie schlecht oder vielleicht sogar gut?