Vollkommene Kugel: Zwei verschmelzende Neutronensterne haben eine perfekt kugelförmige Explosion verursacht – und erstaunen damit die Astronomen. Denn nach gängiger Lehrmeinung breiten sich Schockwellen, Strahlung und Teilchen bei solchen Kilonovae immer asymmetrisch aus. Doch die 140 Millionen Lichtjahre entfernte Kilonova AT2017gfo bildet eine perfekt symmetrisch wachsende Kugel, wie die Forschenden in „Nature“ berichten. Über den Grund dafür können sie nur spekulieren.
Wenn Neutronensterne kollidieren, erschüttert die freigesetzte Energie sogar die Raumzeit und erzeugt Gravitationswellen. Die Sterne verschmelzen dabei zu einem kurzlebigen Mega-Neutronenstern, der nur Sekundenbruchteile später explodiert. Dies wird als kurzer Gammastrahlenausbruch, gefolgt von einer Kilonova sichtbar – einem gleißend hellen Feuerball aus Strahlung und rasend schnell ins All geschleuderten Teilchen.
Eine solche Kilonova beobachteten Astronomen auch bei einer rund 140 Millionen Lichtjahre entfernten Neutronensternkollision im Jahr 2017. Seither haben Analysen dieses GW170817 beziehungsweise AT2017gfo getauften Ereignisses wichtige Erkenntnisse über die Vorgänge bei einer solchen Explosion und seine Rolle als kosmische Elementfabrik geliefert.
Ein perfekt kugelförmiger Feuerball
Völlig unerwartet ist jedoch, was nun ein Team um Albert Sneppen von der Universität Kopenhagen bei dieser Kilonova entdeckt hat. Die Astronomen hatten zwei bei Supernovae gängige Methoden genutzt, um die Ausbreitung der Kilonova AT2017gfo näher zu untersuchen. Dafür analysierten sie Breite, Intensität und Verschiebung von Spektrallinien in der Strahlung, die zwischen 1,4 und 2,4 Tagen nach Beginn der Explosion freigesetzt worden war – in der Frühphase der Kilonova.
Das überraschende Ergebnis: Allen Analysen zufolge war die Explosion bei dieser Kilonova vollkommen symmetrisch – Strahlung und Teilchen rasten in Form einer perfekten Kugel ins All hinaus. „Niemand hat erwartet, dass eine Kilonova so aussehen kann“, sagt Sneppen. „Unsere Intuition und alle gängigen Modelle sagen, dass die Explosionswolke einer solchen Kollision eine abgeflachte und eher asymmetrische Form haben müsste.“
Schwer erklärbarer Widerspruch zu Theorien
Theoretisch müsste die Rotation der verschmelzenden Neutronensterne bewirken, dass der Feuerball der Explosion asymmetrisch wächst – an den Polen wird mehr Material ausgeschleudert als am Äquator. Doch das scheint zumindest bei AT2017gfo nicht der Fall zu sein. „Für alle untersuchten Epochen finden wir eine Linienform, die auf eine komplett sphärische Expansion hindeutet“, berichten die Astronomen. Dies zeigte sich in beiden, vollständig voneinander unabhängigen Analysemethoden.
Aber warum? „Diese Beobachtung ist eine echte Überraschung – auch für uns“, sagen Sneppen und sein Team. „Bisher kann kein Modell diese bemerkenswerte Kugelsymmetrie der Kilonova erklären.“ Rätselhaft ist diese perfekte Kugelform auch deshalb, weil sie über mehrere Tage hinweg und stark schwankende Ausbreitungsgeschwindigkeiten der Explosionswolke hinweg erhalten blieb. Über den Grund dafür können die Astronomen bisher nur spekulieren.
„Magnetbombe“ und Schwarzes Loch?
Eine mögliche Erklärung wäre, dass es im Ablauf solcher Kilonova-Explosionen noch unerkannte Prozesse und Einflussfaktoren gibt. „Eine solche Explosion könnte sphärisch werden, wenn unmittelbar nach der Verschmelzung eine große Energiemenge zugesetzt wird, die die Dichteverteilung homogenisiert“, schreiben die Astronomen. „Um eine Kugelform zu erzwingen, wären aber mindestens einige Megaelektronenvolt pro Nukleon nötig.“ Die Wärme oder radioaktive Energie der Explosion allein reichen dafür nicht aus.
Was aber ist es dann? „Vielleicht wird eine Art ‚magnetischer Bombe‘ erzeugt, wenn die Energie des stark magnetischen Mega-Neutronensterns freigesetzt wird und der Stern zu einem Schwarzen Loch kollabiert“, mutmaßt Sneppens Kollege Darach Watson. „Die Freisetzung der magnetischen Energie könnte dann die bei der Explosion ausgeschleuderte Materie gleichmäßiger verteilen.“ Denkbar wäre aber auch, dass direkt nach Beginn der Explosion ein starker polarer Ausstrom entsteht, der einen kugelförmigen Kokon um den Rest der Explosionswolke bildet.
Physikalische Lücken im Modell
Doch welches dieser Szenarien zutrifft und ob vielleicht noch ganz anderer Prozesse in der Kilonova ablaufen, ist bisher ungeklärt. „In jedem Fall spricht dies dafür, dass den Theorien und Simulationen von Kilonovae, die wir in den letzten 25 Jahren entwickelt haben, wichtige physikalische Aspekte fehlen“, sagt Watson. Die Astronomen hoffen, dass künftige Beobachtungen weiterer Kilonovae mehr Licht in das Rätsel der kugelförmigen Kilonova bringen. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-022-05616-x)
Quelle: University of Copenhagen