Sie können es doch: Wissenschaftler haben einen weiteren Beweis dafür geliefert, dass Schlangen trotz fehlender Außenohren hören können. Und zwar nicht nur über Bodenvibrationen, sondern auch über Schallwellen in der Luft, wie etwa die menschliche Stimme sie erzeugt. In Experimenten reagierten Schlangen aus fünf verschiedenen Gattungen auf solche luftübertragenen Schallwellen. Wie genau die Reaktion ausfiel, hing von der jeweiligen Schlangenart ab.
Schlangen haben mit ihrer Infrarotsicht einen besonderen sechsten Sinn in Form einer eingebauten Wärmebildkamera. Doch was ist mit den anderen fünf Sinnen? Vor allem in Sachen Gehör wurde den Schlangen lange keine Spitzenleistung zugetraut. „Da Schlangen keine äußeren Ohren haben, denkt man normalerweise, dass sie taub sind und nur Vibrationen über den Boden spüren können“, sagt Christina Zdenek von der University of Queensland. Aber stimmt das wirklich?
19 Schlangen und ein Radio ohne Empfang
Um zu prüfen, wie es tatsächlich um das Gehör von Schlangen steht, haben Zdenek und ihre Kollegen ein Verhaltensexperiment mit 19 Schlangen aus fünf verschiedenen Gattungen durchgeführt. Sie spielten den Kriechtieren dafür in einem schalldichten Raum drei verschiedene Tonfrequenzen vor und beobachteten, wie die Tiere darauf reagierten. Der erste Ton erzeugte Bodenvibrationen und erreichte maximal 150 Hertz. Die anderen beiden wurden hingegen ausschließlich über die Luft übertragen und kamen auf bis zu 450 Hertz.
„So konnten wir beide Arten des ‚Hörens‘ testen – das taktile Hören über die Bauchschuppen der Schlangen und das luftgetragene über ihr Innenohr“, erklärt Zdenek. Bei dem abgespielten Ton handelte es sich um sogenanntes „Pink Noise“, ein konstantes Rauschen, das ein wenig so klingt wie ein Autoradio ohne Empfang. Die Forschenden beobachteten, wie die Schlangen – darunter Todesottern, Woma-Pythons, Taipane und Braunschlangen – auf die Geräusche reagierten. Unter anderem erfassten sie, ob die Tiere sich und ihren Kopf bewegten, zischten oder gänzlich still dalagen.
Schlangen hören mehr als gedacht
Das Ergebnis: Alle Schlangengattungen veränderten ihr Verhalten, sobald die drei verschiedenen Töne abgespielt wurden. Da sie aktiv auf die verschiedenen Geräusche reagieren, gehen die Forschenden davon aus, dass sie diese auch hören können. Das gilt auch für jene Töne, die nicht über Bodenvibrationen, sondern über die Luft übertragen werden. Möglicherweise können die Schlangen also auch menschliche Stimmen hören, vermutet Znenek.
Luftübertragene Schallwellen wahrzunehmen, würde den Schlangen in der Natur viele Vorteile bringen. Sie könnten damit zum Beispiel ihre Beute zielgenauer aufspüren oder ihrerseits Raubtiere meiden. Doch wie können Schlangen hören, wenn sie weder äußere Ohren noch Trommelfell besitzen? Schlangen erfassen die Schallwellen wahrscheinlich mit ihrem Kopf, wie das Forschungsteam erklärt. Über Kiefer- und spezielle Hörknochen gelangen die von den Schallwellen erzeugten Vibrationen in das Innenohr der Schlange und von dort in ihr Gehirn.
Reaktion hängt von der Gattung ab
Dass Schlangen luftübertragene Schallwellen wahrnehmen können, gilt offenbar für alle untersuchten Arten. Doch wie die Tiere auf solche Geräusche reagieren, hängt stark von ihrer Gattung und vom vorgespielten Ton ab, wie die Wissenschaftler herausgefunden haben. „Nur der Woma-Python neigte dazu, sich in Richtung des Schalls zu bewegen, während Taipane, Braunschlangen und vor allem Todesottern sich eher von ihm wegbewegten“, berichtet Zdenek.
Die Reaktionen der Tiere hängen auch mit ihrer natürlichen Lebensweise zusammen. So muss der zwei Meter lange Woma-Python kaum Raubtiere fürchten und sich deswegen auch nicht so vorsichtig verhalten. Deshalb nähert er sich einem Geräusch eher, statt davor zu fliehen. „Taipane hingegen müssen sich möglicherweise vor Raubvögeln fürchten. Sie verfolgen ihre Beute auch aktiv, sodass ihre Sinne viel empfindlicher zu sein scheinen“, erklärt Zdenek. Die Taipane verhalten sich bei Geräuschen deshalb erheblich defensiver und vorsichtiger. (PLoS ONE, 2023; doi: 10.1371/journal.pone.0281285)
Quelle: University of Queensland