In sozialen Medien und im Internet macht die „Abnehmspritze“ Semaglutid“ schon seit Monaten Furore. Promis, aber auch ganz normale Nutzerinnen und Nutzer berichten von erstaunlichen Abnehmerfolgen durch dieses ursprünglich für Diabetiker gedachte Medikament. In den USA ist der Wirkstoff Semaglutid unter dem Handelsnamen Wegovy schon seit Juni 2021 auch zur Behandlung der Adipositas bei Nichtdiabetikern zugelassen, in der EU erfolgte die Zulassung im Januar 2022.
Bis zu 20 Prozent Gewichtsverlust
Doch was steckt hinter diesem neuen Abnehm-Medikament? Ist der Hype begründet? Tatsächlich sehen auch Mediziner in Semaglutid und den mit ihm verwandten Wirkstoffen einen echten Meilenstein in der Adipositas-Therapie: „Gamechanger ist ein Schlagwort, das hier absolut zutrifft. Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben“, sagt der Adipositasforscher Jens Aberle vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Dazu sind sie auch noch sicher, mit guten Endpunktstudien, die uns vorliegen.“
Die Studien zu Semaglutid untermauern dies. Für diese erhielten die Testpersonen – alle mit einem Body-Mass-Index über 30 – einmal wöchentlich eine Dosis von Semaglutid unter die Haut gespritzt. Die Dosis wurde dabei allmählich von anfangs 0,5 bis auf 2,4 Milligramm erhöht. Zusätzlich bekamen sie Beratung zur Ernährungsumstellung und Bewegung. Nach 68 Wochen hatten die Teilnehmenden im Schnitt knapp 15 Prozent an Gewicht verloren, rund ein Drittel von ihnen sogar mehr als 20 Prozent. Die Vergleichsgruppe mit einem Placebo plus beratender Begleitung nahem dagegen nur 1,7 bis 2,4 Prozent ab.
Wirkung auch bei Jugendlichen
„Kein anderes Medikament hat bisher auch nur annähernd eine derartige Gewichtsabnahme erreicht – das ist wirklich ein entscheidender Fortschritt“, sagt Rachel Batterham vom University College London, eine der Studienautorinnen. „Zum ersten Mal können Menschen durch Medikamente erreichen, was bisher nur durch eine Operation zur Gewichtsreduktion möglich war.“ Parallel zur Gewichtsabnahme verbesserten sich durch die Behandlung zudem die kardiometabolischen Risikofaktoren und die subjektiv empfundene physische Fitness der Teilnehmer.
Inzwischen haben weitere Studien die positiven Effekte von Semaglutid auch bei adipösen Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren bestätigt. Nach 68 Wochen lag ihr BMI im Schnitt um 16 Prozent niedriger als vorher. Auch sie verloren signifikant an Körperfett und ihre Herz-Kreislauf-Risikofaktoren reduzierten sich. „Gerade angesichts der zunehmenden Häufigkeit von Adipositas bei Teenagern sind neue Optionen für ihre Behandlung dringend nötig“, sagt Aaron Kelly von der University of Minnesota.
Weniger Hunger, schneller und länger satt
Semaglutid erreicht diese Abnehmwirkung, weil Übergewichtige nach dem Spritzen des Mittels weniger Appetit und Hunger verspüren. Beim Essen setzt zudem das Sättigungsgefühl schneller ein, wodurch man automatisch kleinere Mahlzeiten zu sich nimmt. Weil das Medikament auch auf die Magen- und Darmtätigkeit wirkt, bleibt die Nahrung zudem länger im Magen. Das verlängert die Phase der Sattheit und bremst das Wiedereinsetzen des Hungergefühls.
Semaglutid wirkt dabei nicht nur auf Verdauung, sondern auch auf das Gehirn: „Die psychischen Effekte sind sehr deutlich nachgewiesen: Lebensqualität verbessert sich, Stimmung verbessert sich, Kontrolle des Essverhaltens gelingt besser, das Craving – also das intensive Essbedürfnis – nimmt ab“, erklärt Anja Hilbert von der Adipositasambulanz des Universitätsklinikums Leipzig.
Für wen kommt die Abnehmspritze in Frage?
Allerdings: Bei allem Hype um Semaglutid seine Effekte: Sinnvoll ist die Abnehmspritze vor allem bei denjenigen, die wirklich unter starkem Übergewicht und Adipositas leiden. Das belegen auch Studien mit Mäusen: „Der Gewichtsverlust ist umso größer, je mehr Fettmasse die Nagetiere haben. Und es ist de facto so, dass der Gewichtsverlust rapide nachlässt, je weniger Körperfett das Tier hat“ erklärt Diabetesforscher Timo Müller vom Helmholtz Zentrum München. Gleiches gilt für den Menschen: Wenn jemand normalgewichtig ist oder nur ein paar Pfund zu viel hat, wirkt Semaglutid entsprechend schwächer bis gar nicht.
Aus diesem Grund ist Semaglutid sowohl in Deutschland nur für Menschen mit starkem Übergewicht zugelassen: Verschrieben werden kann es ab einem Body-Mass-Index von 30, außerdem bei Übergewichtigen mit einem BMI von 27, wenn zusätzlich Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und ähnliches diagnostiziert wurden.
Allerdings ist Semaglutid momentan nicht leicht zu bekommen: Der Hype um den Wirkstoff hat dazu geführt, dass der Hersteller mit der Produktion des Präparats Wegovy nicht hinterherkommt und es in Deutschland zurzeit gar nicht erhältlich ist. Das für Diabetes zugelassene Präparat Ozempic, das die halbe Dosis Semaglutid enthält, ist wegen der großen Nachfrage mancherorts ebenfalls schon knapp. Und billig ist die Abnehmspritze auch nicht: Bei Ozempic kostet eine Drei-Monatsdosis rund 250 Euro. Wegovy könnte sogar mehr als 100 Euro pro Monatsdosis kosten. Und bisher übernehmen die Krankenkassen die Kosten für diese Therapie nicht.