Nach 330 Jahren aufgedeckt: Der berühmte Astronom und Physiker Christiaan Huygens könnte kurzsichtig gewesen sein, wie ein Forscher herausgefunden hat. Das würde erklären, warum der niederländische Gelehrte zwar bahnbrechende Erfindungen machte und fortschrittliche Linsen konstruierte, seine Teleskope aber ziemlich unscharf waren: Huygens konnte beim Ausprobieren der Teleskope den Unterschied zwischen optimaler Schärfenjustierung und leichtern Unschärfe schlicht nicht erkennen.
Der im Jahr 1629 geborene niederländische Astronom, Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens war seiner Zeit voraus. Seine Entdeckungen und Erfindungen revolutionierten die Optik, Mechanik, Zeitmessung und Astronomie. Er erfand zum Beispiel die Pendeluhr, entwickelte eine Wellentheorie des Lichts, entdeckte den Saturnmond Titan und beschrieb als erster die wahre Natur der Saturnringe. Huygens entwickelte für seine Forschungen zudem speziell geschliffene Linsen von hervorragender Qualität.
Gute Linsen, aber eher unscharfe Teleskope
Merkwürdig jedoch: Ausgerechnet die von Huygens konstruierten Teleskope hatten ein Manko. Gemessen an dem damals Möglichen waren sie nicht sonderlich scharf und blieben hinter dem theoretischen Optimum zurück. So merkte beispielsweise 1846 Frederik Kaiser, der damalige Direktor der Sternwarte von Leiden, an, dass Huygens zwar makellose Linsen baute, seine Teleskope aber im Vergleich zu zeitgenössischen Linsenfernrohren ein deutlich geringeres Auflösungsvermögen besaßen.
Aus Huygens Aufzeichnungen ist bekannt, dass der Forscher seine Linsen und Teleskope auf Basis von Versuch und Irrtum konstruierte: Huygens testete Kombinationen verschiedener Linsen und Okulare, um das am besten funktionierende Fernrohr zu finden. Anschließend erstellte er Tabellen und Gleichungen, die er zum Bau von Teleskopen mit der gewünschten Vergrößerung verwendete.
Übervergrößerung und zu kurze Brennweite
An genau diesem Punkt setzt nun die Studie von Alex Pietrow vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam an. Er hat sich die von Huygens für seine Teleskope aufgestellten Regeln und Gleichungen näher angeschaut und sie mit modernen Gleichungen zur Optik und Lichtbrechung verglichen. Im Gegensatz zu Huygens auf Versuch und Irrtum beruhenden Berechnungen fußen sie auf den heute besser erforschten fundamentalen Merkmalen des Lichts.
Die Vergleiche ergaben: Huygens‘ Linsen hatten eine kürzere Brennweite als eigentlich nötig gewesen wäre. Außerdem erzeugten sie eine erhebliche Übervergrößerung. „Wenn man diese Gleichungen vergleicht, wird klar, dass mit Huygens Teleskopen und ihrer Bauweise etwas nicht stimmte“, schreibt Pietrow. „Es ist zwar im Prinzip denkbar, dass Huygens absichtlich kürzere Brennweiten wählte, um die Teleskope in handhabbarer Länge zu halten, oder dass die Sicht allgemein so schlecht war, dass eine weitere Optimierung wenig Sinn machte.“
Doch in den Aufzeichnungen des Gelehrten deutet nichts auf solche Überlegungen hin. Stattdessen spricht alles dafür, dass Huygens die Grenzen der damaligen Technik voll auszuschöpfen versuchte, um das klarste Bild und die beste Vergrößerung zu erhalten. „Auf dieser Basis muss man annehmen, dass Huygens davon überzeugt war, dass seine Kombination von Einzellinsen den optimalen Aufbau darstellte“, erklärt Pietrow.
Kurzsichtigkeit von minus 1,5 Dioptrien
Aber warum lag Huygens dennoch falsch? Nach Ansicht von Pietrow spricht einiges dafür, dass die mangelnde Schärfe von Huygens Teleskopen auf eine Sehschwäche des Astronomen zurückzuführen ist: Der Wissenschaftler litt möglicherweise an Kurzsichtigkeit, wodurch weit entfernte Objekte unscharf erscheinen. „Huygens baute seine Teleskope so, dass diese seinen Sehfehler ausgleichen – ähnlich wie Brillenträger heute ihre Brille beim durch das Okular schauen abnehmen und dann den Fokus so justieren, dass er für ihre Sehschwäche passt“, erklärt der Wissenschaftler.
Aus der Abweichung von Huygens‘ Teleskopen und Gleichungen gegenüber den damals möglichen optimalen Werten schließt Pietrow, dass Huygens Kurzsichtigkeit bei minus 1,5 Dioptrien lag. „Dies ist wahrscheinlich das erste posthume Brillenrezept und noch dazu für jemanden, der vor 330 Jahren lebte!“ so der Forscher. Jemand mit dieser Sehschwäche kann auf kurze Entfernungen gut lesen, hat aber Schwierigkeiten, Buchstaben in der Ferne zu entziffern.
Sehschwäche blieb wahrscheinlich unbemerkt
Damit war Huygens’ Kurzsichtigkeit so gering, dass sie im 17. Jahrhundert keine Probleme im täglichen Leben verursachte und daher unbemerkt blieb. Selbst wenn Huygens sich der Unzulänglichkeit seines Sehvermögens bewusst gewesen wäre, hätte er keine Brille gebraucht. „Meine Theorie ist, dass Huygens, weil er im täglichen Leben keine Brille brauchte, wahrscheinlich auch nicht darüber nachdachte, als er Teleskope baute“, erläutert Pietrow. „Also hat er diesen Augenfehler unbewusst in seine Entwürfe einbezogen.“
„Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Arbeit von Christiaan Huygens und legen nahe, dass die Person, die ein Fernrohr konstruiert, genauso wichtig ist wie ihre Werkzeuge“, konstatiert der Forscher. (Notes and Records, 2023; doi: 10.1098/rsnr.2022.0054)
Quelle: Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam