Forscher / Entdecker

Jagd, Diebstahl, Handel

Die düstere Vergangenheit der Exponate

Auch in der heutigen Zeit staunen Museumsbesucher, wenn sie vor einem Tyrannosaurus-Skelett oder einem präparierten Elefanten stehen. Dabei erscheint es als das Selbstverständlichste auf der Welt, all diese Tiere, lebende wie ausgestorbene, exotische wie heimische, an einem Ort versammelt vorzufinden. Je nach Museum kommen auch noch kulturelle Artefakte wie Schmuckstücke oder rituelle Masken indigener Kulturen hinzu. Doch woher haben die Museen all diese Objekte? Die Antwort verleiht der augenscheinlich heiteren Sammelleidenschaft einen düsteren Hintergrund.

Säugetierhalle
Einige der ausgestopften Säugetiere im Senckenberg Naturmuseum haben eine düstere Vergangenheit. © Sven Tränkner

Drei tote Gorillas

Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn ist für seine aufwändigen Dioramen bekannt, nachgebaute Landschaften, die Besucher in exotische Welten voller ausgestopfter wilder Tiere entführen. In der Savanne tummeln sich zum Beispiel Elefanten und Löwen, im Unterholz eines afrikanischen Regenwaldes hält sich ein Schimpansen-Baby an seiner Mutter fest und in der Wüste schaut ein Kamel träge in den Raum.

„Viele fragen sich, woher denn all diese Tiere kommen. Ein Großteil unserer Sammlungen wurde natürlich von Alexander Koenig zusammengetragen. Er kaufte und jagte Tiere. Seine Expeditionen dienten auch dazu, spektakuläre Präparate in sein Museum zu bringen, wie es damals üblich war“, schreibt das Museum auf seiner Webseite.

Dass einige der ausgestellten Tiere das Ergebnis gezielter Jagd sind, bestätigt auch das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main. Bis ins frühe 20. Jahrhundert sei dieses Vorgehen durchaus üblich gewesen, schreibt die Einrichtung. Ein Opfer dieser Praxis war die Senckenberger Gorillafamilie, die dort erstmals im Jahr 1907 ausgestellt wurde. „Ursprünglich handelte es sich um eine echte Gorillafamilie, die in der Region Französisch-Kongo in Westafrika lebte. Dieselben Schüsse, die im April 1906 die Eltern töteten, führten auch dazu, dass der Säugling von einem Baum in den Tod stürzte“, erklärt Lynn Nyhart von der University of Wisconsin-Madison.

Wie sie ermittelt hat, war dies kein Versehen: „Diese Gorillas waren mit dem Ziel getötet worden, sie zu einem Ausstellungsstück zu machen. Die toten Tiere wurden fotografiert, vermessen, beschrieben und ihre Häute wurden dann für den Versand nach Europa in einer trockenen Zubereitung aus Salz und Alaun verpackt“, so Nyhart weiter.

Karawanen und Sammelfieber in Übersee

Um ihre Sammlungen aufzustocken, unterhielten die Naturkundemuseen einst feste Handelsbeziehungen mit „Sammlern“ und Zwischenhändlern aus aller Welt. So stammen etwa neun Antilopen-Schädel aus der Säugetiersammlung des Berliner Naturkundemuseums von dem berühmten Sammler Oscar Neumann. Das ist zumindest in schwarzer Tusche auf der Stirn der Tiere vermerkt. Zu ihrer Herkunft steht dort außerdem: „In Sansibar von einer aus dem Hinterlande von Lindi kommenden Karawane gekauft.“

Auch der Botaniker Robert Schomburgk, der seinerzeit die damalige Kolonie Britisch-Guyana durchstreifte, schickte kistenweise naturkundliche Objekte nach Berlin. Zu diesen „Souvenirs“ gehörten getrocknete Pflanzen, Skelette und in Weingeist eingelegte Tiere. Auftrag und Fördermittel stammten von der preußischen Regierung. Als Schomburgk gegen Ende seiner Reise im März 1843 erfuhr, dass in Berlin ein zoologischer Garten eröffnen sollte, erweiterte er sein Repertoire auch um lebende Tiere.

Berliner Zoo
Der Berliner Zoo war für das Naturkundemuseum schon immer eine wichtige Bezugsquelle für neue Exponate. Auch heute landen gestorbene Zootiere manchmal im Museum. © Zoo Berlin

Teamwork von Zoo und Museum

Von den Tieren, die Schomburgk „sammelte“, überlebten allerdings nur wenige die lange Überfahrt nach Europa. Es ist dokumentiert, dass gerade einmal neun lebend im Berliner Zoo ankamen, darunter ein grüner Leguan und eine Riesenschlange. Der Leguan schaffte einen weiteren Monat im Zoo und starb dann ebenfalls. Danach landete er als präpariertes Ausstellungsstück im Berliner Naturkundemuseum. Damals ein übliches Schicksal, wie die Museums-Mitarbeiter Ina Heumann und Tahani Nadim berichten: „Mitte des 19. Jahrhunderts trugen die gescheiterten Versuche, lebende Tiere nach Europa zu bringen oder in Zoos am Leben zu halten, vor allem dazu bei, Sammlungen zu bestücken.“

Dieser „Ringtausch“ war so fest einkalkuliert, dass der Zoo für das Museum eine regelmäßige Bezugsquelle für die neuesten Exponate darstellte. „Das Museum, das eine möglichst vollständige Erfassung der Weltfauna anstrebte, übernahm aus dem Zoo von Anfang an zahlreiche Vögel und Säugetiere. Ab 1913, als im Zoo ein Aquarium errichtet wurde, kamen Fische, Insekten, Amphibien und Reptilien dazu“, erklären Heumann und Nadim. Es ist überliefert, dass das Museum für ein totes Zootier damals im Schnitt zehn Prozent vom Wert des lebenden Tieres zahlte.

Kolonialismus
Tierhandel und Kunstraub waren erst durch den Kolonialismus in großem Maßstab möglich. Für die gefährlichen Jagdexpeditionen wurden häufig Einheimische verpflichtet. © Rutger van Langervelt, gemeinfrei

Kolonialismus als treibende Kraft

Bis die Tiere damals im Museum ihre letzte Ruhe fanden, hatten die meisten von ihnen also eine lange, anstrengende Reise hinter sich: In der freien Wildbahn eingefangen, über zahlreiche Zwischenhändler und Lieferanten nach Europa verschifft und dort unfachmännisch im Zoo gehalten. Möglich war dies vor allem durch den Kolonialismus in Afrika, Asien und Ozeanien, von dem auch große Tierhandelshäuser wie Jamrach, Hagenbeck und Reiche profitierten.

Die Kolonialverwaltungen erteilten bereitwillig Lizenzen zur Jagd, während die Bevölkerung des Landes häufig gewaltsam von den natürlichen Ressourcen abgeschnitten wurde. Um ihr eigenes Leben bei gefährlichen Jagdexpeditionen zu riskieren, waren lokale Arbeitskräfte den Kolonialherren aber wiederum „gut genug“.

Die wenig dokumentierten, verzweigten Handelbeziehungen von damals bedeuteten nicht nur Leid für Tiere und Menschen, sondern erschweren es heutigen Museumsforschern außerdem, den genauen Ursprung der Exponate herauszufinden. Viele der konservierten und präparierten Tiere, die im frühen 20. Jahrhundert ins Berliner Museum gelangten, warten noch heute auf eine Aufarbeitung ihrer Herkunft.

Ähnlich ergeht es kulturellen Artefakten indigener Kulturen, die einst als Raubkunst von den Kolonien aus nach Europa gelangten. Dazu zählen in erster Linie Statuen, Masken oder Schmuck, aber auch ganze Bauwerke. Sie wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zuzuordnen und zu übergeben, ist kleinteilige, langwierige Detektivarbeit. Doch immer mehr Museen bemühen sich, diese sogenannte Provenienzforschung voranzutreiben und übernehmen Verantwortung für ihre düstere, koloniale Vergangenheit.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Zeitreise Museum
Vom Kuriositätenkabinett zur virtuellen Realität

Tanz der Musen
Fürstliche Schatzkammern als Wiege der Museen

Jagd, Diebstahl, Handel
Die düstere Vergangenheit der Exponate

Museum für alle
Von der elitären Sammlung zum Publikumsmagnet

Das Museum der Zukunft
Jetzt wird’s digital

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