Sonnensystem

Planetenbilliard im Sonnensystem

Welche Folgen hätte ein zusätzlicher Planet anstelle des Asteroidengürtels?

Supererde
Was wäre, wenn es im Sonnensystem statt des Asteroidengürtels eine Supererde gäbe? © NASA Ames/JPL-Caltech, Tim Pyle

Was wäre, wenn in unserem Sonnensystem anstelle des Asteroidengürtels eine Supererde läge? Genau dies haben Planetenforscher jetzt in Simulationen ausprobiert – mit größtenteils fatalen Folgen. Je nach Position der Supererde werden entweder die inneren Planeten aus dem System ausgeschleudert oder die Eisplaneten Uranus und Neptun geraten aus der Bahn. Dies könnte erklären, warum unser Sonnensystem zwischen Mars und Jupiter eine auffallende Lücke aufweist und auch in anderer Hinsicht exotisch ist.

Lange galt das Sonnensystem als klassisches Modell für Planetensysteme um sonnenähnliche Sterne. Doch inzwischen ist klar, dass unsere Heimat ein echter Exot ist – die meisten Planetensysteme um fremde Sterne sehen völlig anders aus. So umfassen die meisten von ihnen Supererden und Mini-Neptune – eine Kategorie von Planetengrößen, die im Sonnensystem komplett fehlt. Stattdessen liegt zwischen der Erde als größtem terrestrischen Planeten und dem Neptun als kleinstem Eisriesen ein Abstand von 17 Erdmassen.

Sonnensystem
Zwischen Mars und Jupiter klafft im Sonnensystem eine Lücke. © NASA

Herausforderung für theoretische Modelle

Merkwürdig auch: Die meisten extrasolaren Gasriesen umkreisen ihre Sterne in geringem Abstand, im Sonnensystem liegen Jupiter und Co dagegen allesamt im äußeren Bereich. Dazu kommt, dass zwischen Mars und Jupiter eine große Lücke klafft – es scheint fast, als fehlt hier ein ursprünglich vorgesehener Planet. „All diese Anomalien sind echte Herausforderungen für unsere Modelle der Planetenbildung“, erklärt Astrophysiker Stephen Kane von der University of California in Riverside.

Warum ausgerechnet unser Sonnensystem ein solcher Exot ist, lässt sich bisher nur teilweise erklären. Als eine der möglichen Ursachen gilt die Wanderung des Jupiter in der Anfangszeit unseres Systems. „Diese planetare Migration spielte wahrscheinliche die Hauptrolle für die Ausdünnung des Materials zwischen Mars und Jupiter“, sagt Kane. Aber auch eine ungewöhnliche Struktur der protoplanetaren Scheibe wird von einigen Planetenforschern postuliert.

Zusatzplanet zwischen Mars und Jupiter

Um mehr über die verborgenen Gesetzmäßigkeiten unseres exotischen Systems zu erfahren, hat Kane nun ein ungewöhnliches Experiment durchgeführt: In einer Reihe von Simulationen ersetzte er den Asteroidengürtel durch eine Supererde und beobachtete, wie sich dies auf die Bahnen der restlichen Planeten auswirkte. „Die dynamischen Konsequenzen eines solchen zusätzlichen Planeten zu untersuchen, hilft dabei, die aktuellen Planetenbildungstheorien zu überprüfen“, erklärt der Astrophysiker.

Für sein Experiment nutzte Kane ein gängiges Computermodell des Sonnensystems und fügte in verschiedenen Simulationsdurchgängen einen zusätzlichen Planeten von einer bis zu zehn Erdmassen ein. Der Zusatzplanet wurde in verschiedenen Startpositionen mit einem Sonnenabstand von zwei bis vier astronomischen Einheiten (AE) platziert – in der Lücke zwischen Mars und Jupiter. Die Simulation zeigte dann, was in den rund zehn Millionen Jahren nach Einfügen des Planeten geschah.

Einfügungszone
Der rote Bereich zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter markiert die Zone, in die der Zusatzplanet eingefügt wurde. © Stephen Kane/ The Planetary Science Journal, CC-by 4.0

Fatale Folgen für die inneren Planeten

Die Simulationen enthüllten: Obwohl zwischen Mars und Jupiter genug Platz für einen weiteren Planeten ist, hätte eine zusätzliche Supererde für unser Sonnensystem fatale Folgen. Die Schwerkraft des Zusatzplaneten und die von ihm erzeugten Bahnresonanzen würden das gesamte System erheblich destabilisieren. Halbwegs glimpflich gingen die Simulationen nur dann aus, wenn der Planet kaum schwerer war als die Erde und sein Orbit bei exakt drei astronomischen Einheiten lag – ziemlich genau in der Mitte der Lücke zwischen Mars und Jupiter.

Verheerend wäre es dagegen, wenn eine Supererde von sieben Erdmassen in dem Doppelten der Entfernung Sonne-Erde kreiste. „In diesem Fall werden die Umlaufbahnen aller vier inneren Planeten so instabil, dass sie noch vor Ende der Simulation aus dem Sonnensystem geschleudert werden“, berichtet Kane. Die ersten Opfer sind dabei Mars und Merkur, später gefolgt von Venus und Erde. Auch bei anderen Umlaufbahnen des Zusatzplaneten würde mindestens der Merkur aus dem System geschleudert.

Chaos bei den Eisriesen

Die großen Gas- und Eisriesen im äußeren Planetensystem sind etwas stabiler, aber auch sie wären nicht gegen schwere Turbulenzen gefeit – vor allem bei einer Supererde am Außenrand der Lücke: Der Zusatzplanet tritt dann in eine Bahnresonanz mit Jupiter und Saturn ein, deren Orbits dadurch immer exzentrischer werden. „Diese Verschiebungen stören den Orbit des Neptun, dessen Exzentrizität sich nun ebenfalls chaotisch verändert“, berichtet Kane. Als Folge wird schließlich der Uranus komplett aus seiner Bahn gebracht und aus dem Sonnensystem geschleudert.

Auch in anderen Umlaufbahnen der Supererde jenseits von drei astronomischen Einheiten wären vor allem die Eisriesen betroffen. „Sie verlieren in den meisten Fällen ihre Bahnstabilität“, berichtet Kane. Allerdings bliebe dann auch die störende Supererde nicht verschont: „Diese Interaktionen führen in der Regel dazu, dass die Supererde aus dem System geschleudert wird“, erklärt der Astrophysiker.

„Perfekt austariert wie ein Uhrwerk“

Nach Ansicht von Kane unterstreichen diese Ergebnisse, wie präzise ausbalanciert das Sonnensystem und seine Planeten sind. „Sie greifen ineinander wie die fein austarierten Zahnräder einer Uhr“, sagt Kane. „Fügt man ein Zahnrad hinzu, bricht das ganze System zusammen.“ Anders ausgedrückt: Der große Abstand zwischen Mars und Jupiter ist möglicherweise nicht nur eine zufällige Folge der Jupiterwanderung. Stattdessen scheint die Lücke auch für die Stabilität des Planetensystems wichtig zu sein.

Die im „Experiment Zusatzplanet“ gewonnen Erkenntnisse könnten aber auch dazu beitragen, die Modelle zu Planetenbildung zu präzisieren und extrasolare Planetensysteme besser zu verstehen, wie der Astrophysiker erklärt. (The Planetary Science Journal, 2023; doi: 10.3847/PSJ/acbb6b)

Quelle: University of California – Riverside

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