Archäologie

Stammen die ältesten Steinwerkzeuge wirklich von Menschen?

Nüsseknackende Javaneraffen produzieren Steinabschläge ähnlich der Oldowan-Technologie

STeinklinge
Dieser scharfkantige Steinabschlag sieht genauso aus wie die Steinklingen der prähistorischen Oldowan-Technologie - ist aber ein Zufallsprodukt nüsseknackender Affen. © Proffitt et al, 2023/ MPI für evolutionäre Anthropologie

Nicht menschengemacht: Einige vermeintlich frühmenschliche Steinwerkzeuge stammen vielleicht doch nicht von unseren Vorfahren – sondern von Affen. Indizien dafür liefern Steinabschläge, die Javaneraffen in Thailand unabsichtlich beim Nüsseknacken erzeugen. Analysen belegen, dass viele dieser Abschläge nicht von Steinklingen der prähistorischen Oldowan-Technologie zu unterscheiden sind. Das wirft die Frage auf, ob auch einige der Millionen Jahre alten Werkzeugfunde in Wirklichkeit von Affen stammen.

Die Fähigkeit, durch gezieltes Aufeinanderschlagen von Steinen scharfkantige Klingen herzustellen, gilt als Schlüsselmoment der menschlichen Evolution. Denn mit dieser Oldowan-Technologie erlangten unsere Vorfahren die Möglichkeit, maßgeschneiderte Werkzeuge herzustellen und zu nutzen. Jüngste archäologische Funde in Kenia legen nahe, dass Frühmenschen diese Werkzeug-Technologie schon vor rund 2,9 Millionen Jahren entwickelten.

Makaken
Javaneraffen in Thailand beim Nüsseknacken mit Hammerstein und Amboss. © Lydia V. Luncz

Nüsseknackende Javaneraffen

Doch waren wirklich Frühmenschen die Schöpfer all dieser prähistorischen Werkzeuge? Eine Studie von Tomos Proffitt vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seinen Kollegen weckt Zweifel daran. Denn wie sie herausgefunden haben, können ganz ähnliche Steinklingen auch unabsichtlich entstehen – durch nüsseknackende Affen. Konkret beobachtet haben die Forschenden dies bei Javaneraffen im Phang-Nga-Nationalpark in Thailand.

Die Makaken legen dort Nüsse auf eine Felsunterlage und schlagen mit einem Steinbrocken darauf, um ihre harte Schale zu knacken. Das ist nichts Ungewöhnliches, da auch viele andere Affenarten die Fähigkeit zum Nüsseknacken besitzen. Interessant ist jedoch, was von diesem Nüsseknacken übrig bleibt: Beim Hämmern zerbrechen die Affen oft ihre Hammersteine oder die Ambossssteine. Mit der Zeit hinterlässt das Nüsseknacken dadurch eine oft große Zahl von unabsichtlich hergestellten Steinabschlägen.

Große Überlappung zu Oldowan-Steinklingen

„Die Bedeutung der von diesen Makaken erzeugten Ansammlungen von Stein-Artefakten liegt in ihrer Ähnlichkeit zu prähistorischen archäologischen Materialien“, schreiben die Wissenschaftler. Denn die Steinabschläge der Affen zeigen viele Merkmale, die als charakteristisch für die frühmenschliche Oldowan-Technologie gelten. So besitzen Affen-Steinabschläge scharfe Kanten, tragen oft Spuren mehrfacher Schläge und auch Größe und Form der Artefakte ähneln denen der Oldowan-Steinklingen.

Steinabschläge
Beispiele für beim Nüsseknacken der Makaken zufällig entstandene Steinabschläge. © Lydia V. Luncz

„Quantitativ und technologisch liegen die Makaken-Steinabschläge innerhalb der Variationsbreite der Abschlagsfunde aus dem Pliozän und frühen Pleistozän“, berichten Proffitt und sein Team. Als Test haben sie die unabsichtlich hergestellten Affen-Steinabschläge unter eine Auswahl von Oldowan-Klingen gemischt und untersucht, wie lange die Artefakt-Ansammlung noch als typische Oldowan bewertet würde.

Das Ergebnis: „Zwischen 20 und 30 Prozent einer Oldowan-Ansammlung kann durch unabsichtlich erzeugte Steinabschläge ersetzt werden, bevor statistische Abweichungen von der Oldowan-Mischung erkennbar werden“, so das Team.

Wurden archäologische Funde falsch interpretiert?

„Diese Daten zeigen, dass es substantielle Ähnlichkeiten zwischen gezielt hergestellten scharfkantigen, muschelförmigen und den versehentlich beim Nüsseknacken von Primaten entstandenen Steinabschlägen gibt“, konstatieren die Forschenden. „Angesichts dieser Ähnlichkeiten könnte es sein, dass einige der Artefakte aus plio-pleistozänen Kontexten auch nur Beiprodukt perkussiver Verhaltensweisen waren und fälschlich als absichtliche Erzeugnisse interpretiert worden sind.“

Mit anderen Worten: Ob ein prähistorischer Steinabschlag wirklich von unseren Vorfahren gezielt als Werkzeug hergestellt wurde oder nicht, ist weniger klar als bisher angenommen. „Die Ergebnisse unserer Studie demonstrieren, dass wir eine grundlegende Neubewertung darin benötigen, wie wir dieses einzigartig menschliche Verhalten bei archäologischen Funden definieren und identifizieren“, schreiben Proffitt und seine Kollegen.

Kriterien enger fassen

Möglicherweise müssen die Kriterien für die charakteristischen Oldowan-Merkmale in Zukunft enger gefasst werden: Ausgehend von ihren Vergleichsanalysen stellten die Wissenschaftler fest, dass beispielsweise größere, länglichere Abschläge mit einem hohen Schnittkanten zu Masse-Verhältnis eher menschliche Steinklingen als die zufälligen Abschläge charakterisierten.

In jedem Falle werden Archäologen künftig noch genauer prüfen müssen, ob ihre Funde tatsächlich Menschenwerk oder vielleicht doch bloß Artefakte unserer äffischen Verwandten sind. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.ade8159)

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

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