Es klingt paradox, ist aber physikalisch solide: Physiker haben Licht so manipuliert, dass es sich wie ein Gas bei negativer absoluter Temperatur verhält. Diese herrscht nach der Boltzmann-Verteilung dann, wenn die Mehrheit der Teilchen maximale Energiezustände einnimmt. Das Teilchenensemble ist damit gewissermaßen heißer als heiß und die Temperaturskala springt dann per Definition auf negative Werte. Das klingt zwar esoterisch, kann aber praktisch nutzbare Erkenntnisse für die optische Datenkommunikation liefern.
Der absolute Nullpunkt kann per Definition nicht unterschritten werden. Denn bei minus 273 Grad Celsius haben alle Teilchen so wenig Energie, dass sie zum Stillstand kommen und alle Unordnung verschwindet. Kälter und damit energieärmer als null Kelvin kann daher nichts sein – eigentlich. Doch paradoxerweise gibt es trotzdem eine negative absolute Temperatur. Sie ergibt sich aus der sogenannten Boltzmann-Verteilung, die angibt, wie viele Teilchen in einem Gas welche Energie besitzen.
Warum negative absolute Temperaturen möglich sind
Der Hintergrund: Bei jeder beliebigen normalen Temperatur – egal ob kalt oder heiß – haben die Teilchen eines Ensembles unterschiedliche Energien. Einige bewegen sich sehr langsam, andere dagegen schnell. Dabei sind laut Boltzmann-Verteilung Zustände niedriger Energie wahrscheinlicher als solche mit hoher Energie. Die klassische Temperatur ergibt sich dabei aus dem Durchschnitt: Je wärmer und damit energiereicher ein Gas wird, desto mehr Teilchen bewegen sich schnell.
Doch wenn man dem System extrem viel Energie zuführt, verschiebt sich das normale Verhältnis von schnellen zu langsameren Teilchen immer mehr, bis schließlich die Mehrheit der Teilchen eine maximale Bewegung und Energie aufweisen – die normale Boltzmann-Verteilung kehrt sich um. Stellt man sich die Energie der Teilchen als ihre Position in einer Hügellandschaft vor, dann würden jetzt fast alle Teilchen auf den Hügelgipfeln liegen und könnten nicht mehr höher hinaus.
Diese Umkehrung der Boltzmann-Verteilung entspricht per physikalischer Definition einer negativen Temperatur – nicht im Sinne einer extremen Kälte, sondern eher als höchste Steigerung der Hitze: Bei heißer als heiß springt die Temperaturskala auf negative Werte. Bereits im Jahr 2013 ist es Forschern gelungen, dieses Umklappen der Skala bei Atomen erstmals nachzuweisen.
Licht verhält sich wie ein Gas
Jetzt haben Physiker dieses Phänomen der negativen Temperatur erstmals auch bei Licht beobachtet. Für ihr Experiment speisten Andre Marquz Muniz von der Universität Jena und seine Kollegen Lichtpulse in zwei gekoppelte Glasfaserschleifen ein, in die auch ein Abschnitt nichtlinearer photonischer Faser eingebaut war. Die Lichtpulse kreisten in diesen Faserschleifen hunderte Male, interagierten miteinander und legten dabei tausende Kilometer zurück. Die Physiker beobachteten, wie sich die Geschwindigkeit der einzelnen Lichtpulse veränderte.
Es zeigte sich Überraschendes: „Wir haben festgestellt, dass sich die Lichtpulse schon nach etwa hundert Kilometern organisieren und sich dann wie Moleküle in einem gewöhnlichen Gas, wie zum Beispiel Luft, verhalten“, berichtet Seniorautor Ulf Peschel von der Universität Jena. Konkret ausgedrückt: Die Lichtpulse rasten zwar mit einer mittleren Geschwindigkeit von etwa 200.000 Kilometern pro Sekunde durch die Glasfaser, waren aber trotzdem nicht alle gleich schnell – ähnlich wie bei Teilchen in einem Gas.
„Die statistische Verteilung ihrer Geschwindigkeiten entspricht dabei genau der eines normalen Gases mit einer bestimmten Temperatur“, so Peschel.
Heißes und kaltes Photonengas
Damit hat das Team erstmals demonstriert, dass auch Licht unter bestimmten Voraussetzungen den konventionellen thermodynamischen Gesetzen folgt. Wie die Physiker in ihrem Experiment belegen, kann dieses „optische Gas“ auf ganz ähnliche Weise beeinflusst werden wie ein normales Gas: Entzieht man ihm Energie, werden wie in einem echten Gas die Geschwindigkeitsunterschiede der Photonen geringer und die Ordnung in der Signalfolge nimmt automatisch zu. Wird der absolute Temperaturnullpunkt von 0 Kelvin erreicht, bewegen sich alle Pulse mit exakt gleicher Geschwindigkeit.
Auch der umgekehrte Prozess ist möglich. Führt man dem Photonengas mithilfe spezieller Interaktionen Energie zu und beschränkt gleichzeitig durch eine periodische Modulation des Brechungsindexes den Bereich möglicher Ausbreitungsgeschwindigkeiten in der Glasfaser, vergrößern sich die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Teilchen und die Unordnung wird maximal. „Alle verfügbaren Geschwindigkeiten können dann gleich besetzt und Photonengase unendlicher Temperatur präpariert werden“, erklärt Peschel.
Optisches Gas mit negativer Temperatur
Doch nicht nur das: Den Physikern gelang es in ihrem Experiment sogar, das „Lichtgas“ in ein negatives Temperaturregime zu bringen. Durch spezielle Manipulationen des Systems und Interaktionen der Photonen brachten sie mehr Lichtteilchen in einen hohen Energiezustand als in einen niedrigen – und kehrten so die Boltzmann-Verteilung für dieses optische System um. Das Photonengas erreichte damit per Definition eine negative absolute Temperatur.
„Unsere Resultate tragen dazu bei, das kollektive Verhalten großer Ensembles optischer Signale besser zu verstehen“, sagt Peschel. Wie er erklärt, haben diese Erkenntnisse daher durchaus einen praktischen Nutzen: „Berücksichtigt man die Thermodynamik, kann man die optische Datenübertragung zuverlässiger und robuster machen, zum Beispiel, indem man Pulsverteilungen so strukturiert, dass sie thermodynamischen Verteilungen besser entsprechen“, so der Physiker. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.ade6523)
Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena