Unsichtbarer Gigant: Astronomen haben eines der größten und schwersten Schwarzen Löcher im Kosmos aufgespürt – einen Schwerkraftgiganten von mehr als 30 Milliarden Sonnenmassen. Das supermassereiche Schwarze Loch verbirgt sich im Zentrum der 2,7 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie Abell 1201. Weil es zurzeit inaktiv ist, ist es mit Teleskopen nicht sichtbar. Entdeckt wurde es erst, als die Forscher den von dieser Galaxie verursachten Gravitationslinsen-Effekt näher untersuchten.
Sie sitzen im Herzen der meisten Galaxien und liefern Quasaren ihre Helligkeit und Energie: Supermassereiche Schwarze Löcher sind die Giganten unter den kosmischen Singularitäten. Ihre enorme Schwerkraft prägt das Wachstum und Verhalten von Galaxien und sorgt für die energiereichsten Ausbrüche im Kosmos. Das zentrale Schwarze Loch unserer Galaxie, Sagittarius A*, ist mit gerade einmal vier Millionen Sonnenmassen eher schmächtig, denn viele Schwarze Löcher in größeren Galaxien oder in Quasaren bringen mehrere Milliarden Sonnenmassen auf die Waage.
Gravitationslinsen-Effekt gibt Rätsel auf
Eines der größten und schwersten bekannten Schwarzen Löcher haben nun Astronomen um James Nightingale von der Durham University aufgespürt. Ausgangspunkt für ihre Entdeckung war die zentrale Galaxie im rund 2,7 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxiencluster Abell 1201. Diese Galaxie fällt schon länger wegen einer ungewöhnlichen Eigenschaft auf: Wenn sie vor einem Hintergrundobjekt vorbeizieht, ist ihr Gravitationslinseneffekt deutlich stärker als es die sichtbare Größe, Sternenzahl und Dunkle Materie dieser Galaxie nahelegen.
Astronomische Beobachtungen zeigen, dass die Galaxie Abell 1201 BCG das Licht ferner Hintergrundobjekte um fast 2.000 Lichtjahre ablenkt und zu einem Bogen verzerrten Licht formt. 2017 entdeckten Forscher zudem einen zweiten, kleineren Bogen auf der gegenüberliegenden Seite, dessen Position und Form auf die Präsenz einer unsichtbaren großen Masse im Zentrum der Galaxie hindeuteten. Schon damals hatten Astronomen den Verdacht, dass es sich bei diesem verborgenen Schwergewicht um ein inaktives Schwarzes Loch handeln könnte.
Ein Gigant mit gut 33 Milliarden Sonnenmassen
Um mehr über diesen verborgenen Schwerkraftgiganten herauszufinden, haben Nightingale und sein Team zunächst neue Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops von dieser Galaxie und ihrem Gravitationslinseneffekt analysiert. Dann ermittelten sie mithilfe einer astrophysikalischen Simulation auf den Supercomputern des DiRAC-Rechenzentrums in Durham, was für ein supermassereiches Schwarzes Loch die beobachteten Verzerrungen verursachen könnte.
Die Analysen ergaben: Im Zentrum der Galaxie Abell 1201 BCG muss sich ein mehr als 30 Milliarden Sonnenmassen schweres Schwarzes Loch verbergen. Nur so sind die extremen Effekte bei dieser Gravitationslinse erklärbar. „Dies ist eine extrem spannende Entdeckung, denn dieses Schwarze Loch ist damit eines der größten jemals entdeckten“, sagt Nightingale. „Es liegt schon nahe an der theoretisch vorhergesagten Massenobergrenze für Schwarze Löcher.“
Die wenigen bisher bekannten Schwarzen Löcher mit noch größerer Masse sind ein 60 Milliarden Sonnenmassen umfassender Gigant im fernen Quasar TON 618 und ein 40 Milliarden Sonnenmassen schweres Exemplar, das in der Galaxie IC 1101 vermutet wird – einer der massereichsten bisher bekannten Galaxien.
Methode könnte beim Aufspüren weiterer stiller Giganten helfen
Eine Besonderheit ist das neu identifizierte Schwarze Loch von Abell 1201 aber noch aus einem anderen Grund: Es ist das erste Schwarze Loch, das über den Gravitationslinseneffekt und eine ergänzende Modellierung entdeckt wurde. „Viele der größten bisher entdeckten Schwarzen Löcher sind aktiv und verschlingen Materie“, erklärt Nightingale. „Dabei setzen sie Energie in Form von Licht, Röntgenstrahlen und anderer Strahlung frei.“ Solche aktiven Galaxienkerne sind daher schon von weitem als Schwarze Löcher zu erkennen.
Im Gegensatz dazu ist der Schwerkraftgigant in Abell 1201 inaktiv und daher unsichtbar. Ähnlich wie Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße verrät sich dieses ultramassereiche Schwarze Loch nur durch seine Schwerkraftwirkung. „Der Gravitationslinsen-Effekt ermöglicht es uns, solche inaktiven Schwarzen Löcher genauer zu untersuchen“, so Nightingale. „Unser Ansatz könnte es uns in Zukunft ermöglichen, noch mehr solcher inaktiven Schwarzen Löcher aufzuspüren und zu erforschen, wie sich diese exotischen Objekte entwickelt haben.“ (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2023; doi: 10.1093/mnras/stad587)
Quelle: Durham University