Medizin

Wie unser Herz entsteht

Ein Protein im frühen Embryo dient als "Zündschlüssel" für die Herzentwicklung

CArdioid
Dieser hohle Zellklumpen ist ein Cardioid, eine aus Stammzellen gezüchtete Vorform des menschliche Herzens. © Dr. Deniz Bartsch

Ein Protein macht den Anfang: Forscher haben herausgefunden, womit die Herz-Bildung im menschlichen Embryo beginnt. Demnach muss ein bestimmtes Protein in den noch undifferenzierten Stammzellen präsent sein, um den entscheidenden Schalter umzulegen. Dieses Protein beeinflusst, welche RNA-Bauanleitungen von den Ribosomen – den zellulären Proteinfabriken – bevorzugt ausgelesen werden. Auf diese Weise werden schon die frühen Zellen auf ihre Entwicklung zum Herzen programmiert.

Das Herz ist der Motor unseres Körpers, ohne diese Pumpe können wir nicht überleben. Deshalb ist das Herz auch das erste Organ, das im menschlichen Embryo angelegt wird. Schon rund drei Wochen nach der Befruchtung bereiten sich die ersten embryonalen Stammzellen darauf vor, einmal zu einem Herzen zu werden. Sie bilden einen Zellhaufen, in dem sich nach und nach die verschiedenen Zelltypen des Herzens ausdifferenzieren. Auch die Hohlräume für die Herzkammern entstehen. Etwa ab der fünften Woche beginnt das Herz des Embryos zu schlagen.

Was den Entwicklungsweg zum Herzen anstößt und welche Faktoren im Embryo dafür sorgen, dass die embryonalen Stammzellen das korrekte Programm anschalten, war jedoch unbekannt.

Ribosom
Ribosomen sind die Proteinfabriken der Zellen. Doch welche Boten-RNA sie auslesen, hängt auch von Kontrollproteinen ab, die an den Ribosomen anlagern. © ttsz/ Getty images

Ribosomen im Visier

Diesen „Anschalter“ für die Herzentwicklung haben nun Deniz Bartsch von der Universität Köln und seine Kollegen gefunden. Sie waren einer Spur nachgegangen, die sie zu den Ribosomen – den Proteinfabriken der embryonalen Zellen führte. Dort beeinflussen an die Ribosomen angelagerte Proteine, welche von der Boten-RNA kodierten Bauanleitungen bevorzugt abgelesen und in Proteine umgesetzt werden. Dadurch können diese Ribosomen-assoziierten Proteine (RAP) die Entwicklung der Zelle entscheidend mitbeeinflussen.

Für ihre Studie verwendeten die Forschenden embryonale menschliche Stammzellen aus Blastozysten – dem Stadium der Embryonalentwicklung, in der der rundliche Zellhaufen erste Anzeichen einer Differenzierung zeigt. Aus dem inneren Teil dieses Zellklumpens entnahmen sie gezielt die Stammzellen, aus denen später die Organanlage für das Herz entsteht. Mithilfe spezieller Analysen untersuchten Bartsch und seine Kollegen dann, welche Proteine in diesen Zellen an den Ribosomen präsent waren.

Ein Protein als Anschalter

Es zeigte sich: In den Herzvorläufer-Stammzellen ist ein bestimmtes RNA-bindendes Protein überproportional häufig an der Ribosomenmembran präsent. Dies sorgt dafür, dass sich diese Ribosomen auf die Produktion bestimmter Proteine konzentrieren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass RBPMS selektiv die Translation programmiert, also das Ablesen von mRNA und somit die Produktion von Proteinen“, sagt Bartsch. Diese wiederum bringen die noch pluripotente Stammzelle dazu, sich allmählich auszudifferenzieren und Herzvorläuferzellen hervorzubringen.

Im Prinzip fungiert das RBPMS-Protein demnach als „Zündschlüssel“ für einen speziellen mRNA-Translationsschaltkreis, der letztlich das weitere Zellschicksal bestimmt. „Unsere Arbeit enthüllt, dass die embryonalen Stammzellen schon im pluripotenten Zustand auf ihre spätere Entwicklung zu Herzzellen programmiert werden“, schreibt das Forschungsteam. „Der Schaltkreis dafür wird vom RBPMS-Protein kontrolliert.“

Ohne RBPMS geht es nicht

Um herauszufinden, wie sich ein Fehlen von RBPMS auf die weitere Entwicklung auswirkt, züchteten Bartsch und sein Team Herzorganoide aus ihren Stammzellen. „Solche Cardioide rekapitulieren die auf andere Weise nur schwer zu untersuchende zelluläre Komplexität, Struktur und Schichtung eines sich entwickelnden menschlichen Herzens“, erklären sie. Vor der Zucht dieser Organoide hatten die Forschenden bei einigen ihrer Stammzellkulturen die Produktion des RBPMS-Proteins blockiert.

Das Ergebnis: „Die Cardioide aus den RBPMS-freien Zellen waren durchgehend kleiner, ihnen fehlten Hohlräume und Kammern und sie zerfielen oft, bevor sie sich zu Herzvorstufen entwickeln konnten“, berichtet das Team. Dies bestätigte, dass das RBPMS-Protein und der von ihm angestoßene Translationsschaltkreis tatsächlich essenziell für die Herzentwicklung des Menschen ist.

Einblick auch in Fehlbildungen

Nach Ansicht der Forschenden gibt diese Entdeckung neue Einblicke in die Art und Weise, wie das menschliche Herz entsteht und was bei dem Prozess schief gehen kann. Denn rund ein Drittel der frühen Embryos sterben wegen Fehlern in der Zellentwicklung schon vor der Einnistung in die Gebärmutter ab, ein weiteres Viertel scheitert am Übergang zur Organogenese. Häufig ist die Ursache dafür eine Störung im kardiovaskulären Entwicklungsweg, wie das Team erklärt.

Die neue Erkenntnisse zur frühen „Programmierung“ der embryonalen Stammzellen können nun dazu beitragen, solche Fehlentwicklungen besser zu verstehen. Auch angeborene Herzfehler hängen möglicherweise mit diesem frühen Translationsschaltkreis zusammen. Das könnte es ermöglichen, molekulare Ziele für künftige therapeutische Interventionen bei angeborenen Herzerkrankungen zu identifizieren. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.ade1792)

Quelle: Universität zu Köln

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