Geowissen

Mönche, Blutmonde und Vulkanausbrüche

Mittelalterliche Mondbeobachtungen geben Einblick in Ursache der "Kleinen Eiszeit"

Mondfinsternis
Die Farbe und Helligkeit einer totalen Mondfinsternis verrät viel über den Zustand der Erdatmosphäre – und auch über potenziell Klimaverändernde Vulkanausbrüche. © ozgurdonmaz/ Getty images

Lunare Enthüllungen: Aufzeichnungen von mittelalterlichen Mönchen und Geschichtsschreibern haben Forschern bei der Datierung einiger der größten Vulkanausbrüche der Geschichte geholfen – und bei der Suche nach den Auslösern der „Kleinen Eiszeit“. Denn die Texte aus der Zeit von 1100 bis 1300 beschreiben, wie stark der Mond bei damaligen Mondfinsternissen abgedunkelt war. Das wiederum verrät, ob es in den Monaten davor einen starken Vulkanausbruch gab und wie stark dessen abkühlender Aerosolschleier war.

Vor rund 700 Jahren wandelte sich das Klima in Europa und Nordamerika: Die „Kleine Eiszeit“ brachte extrem kalte, lange Winter und kühle, regenreiche Sommer. Die Ostsee und viele Flüsse froren in dieser Zeit mehrfach zu, Alpengletscher rückten bis in die Täler vor. Die Folge waren vielerorts Missernten, Hungersnöte und Krankheiten. Auch die ab 1347 in Europa grassierende Pestepidemie – der „Schwarze Tod“ – könnte durch das feuchte, kalte Wetter begünstigt worden sein.

Waren Vulkane schuld?

Doch was war der Auslöser für den spätmittelalterlichen Kälteschub? Als mögliche Ursachen werden Änderungen der Meeresströmungen, aber auch Vulkanausbrüche diskutiert. Letztere können große Mengen an Schwefelaerosolen bis in die Stratosphäre schleudern. Im Extremfall kann dadurch ein globaler Dunstschleier entstehen, der über Jahre hinweg die Sonneneinstrahlung mindert und das Klima abkühlt. Tatsächlich zeigen Analysen von Eisbohrkernen, dass es zwischen 1100 und 1300 eine Häufung schwefelreicher Ausbrüche gab.

Bisher war allerdings unklar, wann genau sich diese mittelalterlichen Vulkanausbrüche ereigneten und ob ihre Eruptionswolken hoch genug reichten, um einen abkühlenden Stratosphären-Schleier zu verursachen. Weil sich viele dieser Ausbrüche in unbewohnten Gegenden ereigneten, gibt es fast keine Augenzeugenberichte. Sébastien Guillet von der Universität Genf und seine Kollegen suchten daher nach anderen Möglichkeiten, diese Fragen mithilfe historischer Aufzeichnungen zu beantworten.

historische Eklipse
Darstellung einer Mondfinsternis aus dem 1230 veröffentlichten Werk „Tractatus de Sphaera“ des englischen Mathematikers und Astronomen Johannes de Sacrobosco. © historisch

Mondfarbe verrät stratosphärische Aerosolfracht

Eine Lösung lieferte der Mond – genauer totale Mondfinsternisse. Bei diesen steht der Vollmond im Erdschatten und leuchtet aufgrund des in der Erdatmosphäre gestreuten Restlichts rötlich. Wenn aber viele Schwebstoffe in der Stratosphäre präsent sind, schlucken sie einen Großteil dieses Streulichts. Dies lässt den verfinsterten Mond ungewöhnlich dunkel erscheinen. „Da wir die genauen Zeiten der Mondfinsternisse kennen, eröffnet dies die Chance, anhand historischer Beobachtungen der Eklipsen die Zeiten der Vulkanausbrüche einzugrenzen“, erklärt Guillet.

Die dafür nötigen historischen Beschreibungen gibt es: Im Mittelalter hielten sowohl europäische Mönche als auch Astronomen und Geschichtsschreiber in Asien ihre Mondfinsternis-Beobachtungen in Chroniken fest. „Vor allem für die christlichen Beobachter hatte die Mondfärbung bei der Eklipse große Bedeutung, denn ein dunkler ‚Blutmond‘ galt als böses Omen und Vorzeichen für kommende Katastrophen“, erklären die Forschenden. Sie suchten deshalb gezielt in Texten aus der Zeit von 1100 bis 1300 nach solchen Beschreibungen.

„Als wenn der Mond verschwunden wäre“

Tatsächlich wurde das Team fündig: 37 mittelalterliche Mondfinsternis-Beschreibungen enthielten auch Informationen über Farbe und Helligkeit des Mondes. Von diesen Ereignissen beschrieben die Chroniken sechs als auffällig dunkel. Diese Eklipsen ereigneten sich am 5. Mai 1110, am 12. Januar 1172, am 2. Dezember 1229, am 18. Mai 1258, am 12. November 1258 und am 22. November 1276. „Alle Beschreibungen betonen das fast vollständige und lange Verschwinden der Mondscheibe bei diesen Ereignissen“, berichten Guillet und sein Team.

Vulkanausbrüche
Mondfinsternisse und mit ihnen verknüpfte Vulkanausbrüche von 1100 bis 1300. © Guillet et al./ Nature, CC-by 4.0

Eine der eindrücklichsten Beschreibungen stammt vom japanischen Gelehrten Fujiwara no Teika. Er schrieb zur Mondfinsternis am 2. Dezember 1229: „Obwohl es schon häufiger totale Mondfinsternisse gegeben hat, haben die Alten so etwas wie diesmal noch nie gesehen: Die Mondscheibe war nicht mehr sichtbar, als wenn der Mond während der Finsternis verschwunden wäre. (…) Selbst die offiziellen Astronomen sprechen davon nur mit Angst.“

Fünf Vulkanausbrüche mit Klimaeffekt

Das Entscheidende jedoch: „Diese dunklen Mondfinsternisse stimmen zeitlich mit fünf der sieben aus Eisbohrkernen bekannten Vulkanausbrüche dieser Zeit überein“, berichten die Wissenschaftler. „Das spricht dafür, dass die beobachtete Verdunklung durch vulkanische Aerosole in der Stratosphäre verursacht wurden.“ Diese fünf Vulkanausbrüche waren demnach stark genug, um ihre mit Schwefelgasen beladenen Eruptionswolken bis in die obere Atmosphäre zu schleudern und dort einen abkühlenden Schleier zu hinterlassen.

Bei zwei anderen Vulkanausbrüchen, einem im Jahr 1182 und einem im Jahr 1286, war dies offenbar nicht der Fall: Den historischen Aufzeichnungen zufolge waren die einige Monate später folgenden Mondfinsternisse kaum verdunkelt und eher rötlich. Das Team vermutet daher, dass diese Eruptionen keine oder nur wenige Aerosole bis in die Stratosphäre schleuderten. Ihr Effekt auf das damalige Klima war demnach wahrscheinlich gering.

Damit liefern die mittelalterlichen Mondfinsternisse wertvolle Einblicke in die vulkanische Aktivität kurz vor Beginn der Kleinen Eiszeit. „Dies ist entscheidend, um zu verstehen, ob und wie diese Vulkanausbrüche das Klima und die Gesellschaften im Mittelalter beeinflusst haben“, sagt Koautor Clive Oppenheimer von der University of Cambridge. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05751-z)

Quelle: Nature, Université de Genève

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