Physik

Weg zu kompakteren Fusionsreaktoren entdeckt

Physikalisches Phänomen erlaubt geringeren Abstand zwischen Plasma und Reaktorwand

ASDEX Upgrade
Blick in den Fusions-Testreaktor ASDEX Upgrade. In ihm haben Physiker einen Effekt entdeckt, durch den künftige Fusionsreaktoren kompakter und leistungsfähiger werden könnten. © MPI für Plasmaphysik/ Volker Rohde

Physikalischer „Gamechanger“? Eine neue Technik könnte künftige Fusionskraftwerke kompakter und leistungsfähiger machen. Dabei entsteht durch spezielle Manipulation von Magnetfeld und Plasmadotierung eine lokalisierte Zone am Plasmarand, in der die extreme Hitze in UV-Strahlung umgewandelt wird. Dadurch sinkt die Hitzebelastung der Reaktorwand und der Abstand zwischen dem Fusionsplasma und der Wand kann verringert werden, wie Physiker berichten.

Eine der größten Herausforderungen für künftige Fusionsreaktoren ist der sichere Einschluss des mehr als 100 Millionen Grad heißen Plasmas. Weil kein Material diesen Temperaturen standhalten kann, wird das Fusionsplasma bei Magneteinschluss-Reaktoren wie dem Großreaktor ITER, Wendelstein-7-X, Jet oder ASDEX durch komplex geformte Käfige aus Magnetfeldlinien in der Schwebe gehalten. Dadurch berührt das Plasma die Reaktorwand nicht.

Extreme Hitze am Divertor

Das Problem jedoch: In einem Fusionsreaktor mit intensiver Kernfusion entstehen energiereiche geladene Teilchen, die in einem eng begrenzten Teil des Reaktorgefäßes aus dem Magnetkäfig austreten und auf die Reaktorwand prallen. Ohne Gegenmaßnahmen würden 20 Prozent der Fusionsleistung diese sogenannte Divertor-Region treffen – mit etwa 200 Megawatt pro Quadratmeter wären das in etwa Bedingungen wie auf der Sonnenoberfläche.

Damit die Reaktorwand dieser Belastung standhalten kann, bestehen die Divertor-Prallplatten von ITER aus dem extrem hitzebeständigen Element Wolfram. Dieses hat mit 3.422 Grad die höchste Schmelztemperatur aller Elemente. Doch selbst damit verkraftet der Divertor von ITER und auch künftigen Fusionskraftwerken nur maximal zehn Megawatt pro Quadratmeter – für einen Fusionsbetrieb viel zu wenig. Deshalb werden dem Fusionsplasma geringe Mengen Stickstoff als Verunreinigung zugesetzt, der einen Teil der Wärme als UV-Licht abstrahlen kann.

Trotzdem muss der Plasmarand, die sogenannte Separatrix, auf Abstand zur Wand gehalten werden. Beim kleinen ITER-Testmodell ASDEX Upgrade in Garching beträgt dieser Abstand von der unteren Plasmaspitze – dem X-Punkt – zum Divertor mindestens 25 Zentimeter.

X-Punkt-Strahler
Das in der oberen Aufnahme sichtbare rötliche Leuchten kennzeichnet den Plasmarand, bläulich leuchtet der ringförmige X-Punkt-Strahler nahe am Divertor. Unten ist eine numerische Simulation des X-Punkt-Strahlers zu sehen. © MPI für Plasmaphysik/ E. Huett, O. Pan

X-Punkt-Strahler wandelt Hitze in UV-Strahlung um

Doch nun haben Physiker um Tilmann Lunt vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching einen Weg gefunden, durch den die Hitzebelastung des Divertors stark gesenkt und der Sicherheitsabstand zum Plasma verringert werden kann. Diese Entdeckung verdankten sie einem Zufall: „Versehentlich sind wir mit dem Plasmarand deutlich näher an den Divertor herangegangen, als geplant“, berichtet Lunt. „Wir waren sehr überrascht, dass das ASDEX Upgrade damit problemlos klargekommen ist.“

Nähere Analysen enthüllten: Ändert man das Magnetfeld leicht ab, entsteht ab einem bestimmten Stickstoffgehalt im Plasma ein stark lokalisierter Bereich starker UV-Abstrahlung – der sogenannte X-Punkt-Strahler. Bis zu 90 Prozent der Plasmahitze werden in dieser Zone in UV-Strahlung umgewandelt. In Kameraaufnahmen aus dem Vakuumgefäß ist dieser X-Punkt-Strahler als blau leuchtender Ring im Plasma zu erkennen, weil neben der UV-Strahlung auch sichtbares Licht emittiert wird.

Deutliche Abkühlung am Divertor

Das Entscheidende dabei: Dieser X-Punkt-Strahler sorgt für eine extrem lokalisierte, aber starke Abkühlung des Plasmarands – ohne dass das restliche Plasma seine Energie und Hitze verliert. Im Testreaktor ASDEX sank die Temperatur an den Divertorkacheln dadurch von rund 1.000 Grad auf nur noch 661 Grad. Auch Unregelmäßigkeiten in Form sogenannter Hotspots oder wiederholten kleinen Plasmaausbrüchen traten nicht auf und die Konfiguration blieb stabil, wie Lunt und seine Kollegen ermittelten.

Durch diesen positiven Effekt konnten die Physiker den Mindestabstand von Plasma und Divertor im ASDEX-Testreaktor von 25 auf fünf Zentimeter reduzieren. „Diese Verlagerung wird erreicht, indem die Spannung in der Divertor-Spule verringert wird, in diesem Fall um rund 50 Prozent“, erklären die Forscher. Das bedeutet, dass auch die Divertoren künftig kleiner und technologisch einfacher werden können als bisher.

Kompakter, billiger und leistungsfähiger

„Wir haben es mit einer bedeutenden Entdeckung in der Fusionsforschung zu tun“, sagt Stroth. „Der X-Punkt-Strahler eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten bei der Entwicklung eines Kraftwerks.“ Konkret könnte künftige Fusionsreaktoren dadurch kompakter und leistungsfähiger werden: Weil das Plasma näher an den Divertor rückt, lässt sich das Vakuumgefäß besser ausnutzen. Ersten Berechnungen zufolge ließe sich dadurch fast eine Verdopplung des Plasmavolumens erreichen – bei gleichbleibenden Maßen.

Das könnte den Bau kleinerer und günstigerer Fusionsreaktoren zur Energieerzeugung ermöglichen. Gleichzeitig könnte der X-Punkt-Strahler auch Schäden am Divertor solcher Fusionskraftwerke verhindern, indem er einen Großteil der enormen Hitzebelastung in UV-Strahlung umwandelt. „Die zugesetzte Stickstoff-Verunreinigung bringt uns zwar etwas schlechtere Plasmaeigenschaften, aber wenn wir den X-Punkt-Strahler durch Variation des Stickstoffeintrags gezielt platzieren, können wir die Experimente bei höheren Leistungen betreiben, ohne die Anlage zu schädigen“, erklärt Lunts Kollege Matthias Bernert.

Dieses Video zeigt, wie nah sich der Plasmarand an den Divertor des ASDEX Upgrade schieben lässt, ohne dass dieser Schaden nimmt. Die Infrarotkamera zeigt die durch das Plasma erzeugte Erwärmung der Wand. Der Plasmarand wird durch animierte schwarze Linien veranschaulicht, die sich am X-Punkt kreuzen. Der ringförmige rote Bereich zeigt jeweils den Bereich der größten Wärmebelastung an der Wand. Durch den gezielten Einsatz des X-Punkt-Strahlers (blauer Ring) erhöht sich im Experiment die Temperatur nicht, obwohl der X-Punkt näher an den Divertor rückt.© MPI für Plasmaphysik

„Gamechanger für Fusionsreaktoren“

Wie dies genau funktioniert und ob das Prinzip ohne Einbuße der Fusionsleistung skaliert werden kann, wird das Team ab 2024 im umgebauten ASDEX-Testreaktor ausprobieren. Dessen spezielle Spulen werden es dann ermöglichen, das Magnetfeld nahe am Divertor beliebig zu verformen – und damit auch die Bedingungen für den X-Punkt-Strahler zu optimieren.

„Wenn die bestehenden Herausforderungen überwunden werden, kann der Compact Radiative Divertor zu einem Gamechanger für Fusionsreaktoren werden – es könnte das Design vereinfachen und die Kosten signifikant verringern“, schreiben die Physiker. (Physical Review Letters, 2023; doi: 10.1103/PhysRevLett.130.145102)

Quelle: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

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