Sonnensystem

Ein Magnetfeld im Magnetfeld

Feldlinien, Polarlichter und Ganymeds Atmosphäre

Als wären die vielen Eigenheiten des Jupitermonds Ganymed nicht genug, hat er noch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Ganymed ist der einzige bekannte Mond, der ein eigenes, intern erzeugtes Magnetfeld besitzt.

Ganymeds Magnetfeld
Ganymed besitzt ein eigenes Magnetfeld (blau), das auf komplexe Weise mit dem Jupitermagnetfeld (orange) interagiert. © NASA/JPL-Caltech / SwRI, Duling

Überraschung beim Vorbeiflug

Entdeckt hat dies die NASA-Raumsonde Galileo, als sie im Jahr 1996 erstmals im Abstand von nur 835 Kilometern an Ganymed vorbeiflog. Bei ihrer Annäherung an den großen Jupitermond registrierten die Magnetometer der Sonde zunächst nichts Ungewöhnliches: Weil sich die inneren Monde im gewaltigen Magnetfeld des Jupiter bewegen, sind seine Feldlinien auch beim Anflug auf Ganymed detektierbar. Sie verliefen auf der Route der Raumsonde in Nord-Süd-Richtung waren relativ gleichmäßig angeordnet.

Doch als sich die Galileo-Sonde dem Ganymed weiter näherte, änderte sich dies abrupt: Plötzlich erhöhte sich die Magnetfeldstärke um fast das Fünffache und die Feldlinien wechselten ihre Richtung – sie zeigten nun direkt auf den Jupitermond. „Zusammengenommen belegen diese Messdaten, dass Ganymed der erste bekannte Mond mit einer eigenen Magnetsphäre ist – und das erste bekannte Beispiel für eine Magnetosphäre in einer Magnetosphäre“, sagt Margaret Kivelson von der University of California in Los Angeles. Der Jupitermond besitzt damit quasi ein doppeltes Magnetfeld – eines ist sein eigenes, das andere ist das bis zu ihm reichende Feld seines Planeten.

Ganymed hat eine Atmosphäre

Der Vorbeiflug der NASA-Raumsonde verriet zudem, dass Ganymed eine – wenn auch dünne – Atmosphäre besitzen muss. Denn auch die Dichte geladener Teilchen stieg im nahen Umfeld des Jupitermonds sprunghaft um das mehr als 100-Fache an, wie die Daten des Plasmawellen-Spektrometers ergaben. „Dies deutet darauf hin, dass Ganymed von einer dünnen Ionosphäre umgeben ist und das wiederum spricht dafür, dass er auch eine Atmosphäre hat“, erklärt Donald Gurnett von der University of Iowa. Seither haben weitere Beobachtungen dies bestätigt.

Aufschluss über die Zusammensetzung von Ganymeds Atmosphäre lieferten dabei vor allem Spektralanalysen seiner Polarlichter. Anfang 2023 ergaben solche Messungen, dass die dünne Gashülle des Jupitermonds von molekularem Sauerstoff (O2) dominiert wird. Seine Dichte liegt demzufolge bei rund 320 bis 480 Billionen Molekülen pro Quadratzentimeter, wie Katherine de Kleer vom California Institute of Technology und ihr Team ermittelten. Der Sauerstoff wird freigesetzt, wenn energiereichen Teilchen auf die Eiskruste des Mondes treffen und dort Wassermoleküle zerschlagen.

Polarlichter
Die spektrale Zusammensetzung von Ganymeds Polarlichtern verrät, dass er eine dünne Atmosphäre besitzt und welche Moleküle darin vorkommen (Illustration). © NASA/ESA

Deutlich variabler ist dagegen der Wassergehalt von Ganymeds Gashülle: Während auf der Tagseite des Jupitermonds eine deutliche Spektralsignatur von Wasserdampf nachweisbar ist, gibt es auf seiner Nachtseite fast kein Wasser in der Atmosphäre. Planetenforscher führen dies auf die ausgeprägten Wechsel von Teilchenbombardement und Sonneinstrahlung zurück: „Der tagsüber detektierte Wasserdampf entsteht, wenn das Oberflächeneis sich erwärmt und das Wasser sublimiert“, erklärt Lorenz Roth vom königlichen Institut für Technologie in Stockholm. In der kalten Nacht friert dieser Wasserdampf wieder aus und ist daher nicht mehr in der Gashülle nachweisbar.

Wie Ganymeds Polarlichter entstehen

Das Zusammenspiel von Gashülle und doppeltem Magnetfeld erklärt auch, warum Ganymed ausgeprägte Polarlichter besitzt. Auf der Erde entstehen solche Aurora-Phänomene, wenn Teilchen des Sonnenwinds mit dem irdischen Magnetfeld und der Ionosphäre wechselwirken. Ganymed wird jedoch durch das starke Jupiter-Magnetfeld fast vollständig vom Sonnenwind abgeschirmt – er ist daher nicht der Urheber der Polarlichter auf dem Jupitermond.

Woher bekommt Ganymed dann die Aurora auslösenden Teilchen? Auch das verrieten die Messdaten der Galileo-Sonde: Weil sich Ganymed bei seiner Bahn um den Jupiter durch dessen Magnetfeldlinien bewegt, kommt es zu Wechselwirkungen des lunaren mit dem planetaren Magnetfeld. Wenn dabei Feldlinien von Jupiter und Ganymed miteinander in Kontakt komme, kommt es zu einer explosiven Umlagerung und Rekonnexion. Dabei werden Plasmateilchen beschleunigt und rasen als energiereicher Teilchenschauer in die Ionosphäre des Jupitermonds.

Ein Teil dieser Teilchen kollidiert in der Ionosphäre von Ganymed direkt mit den dortigen Gasteilchen und löst so ein Polarlicht aus. Der Rest des Bombardements prallt mit hoher Geschwindigkeit auf die Eisoberfläche des Jupitermonds und schlägt dort Wassermoleküle aus der Kruste. Diese werden ionisiert und bis in die Ionosphäre des Monds geschleudert. Dort tragen sie dann zur Entstehung der Polarlichter bei.

Prasseln, Pfeifen und Zirpen

Diese energiereichen Wechselwirkungen von Ganymeds Magnetfeld mit dem seines Planeten kann man sogar hören: Wandelt man die dort auftretenden Plasmawellen in Töne um, ertönt ein lautes Prasseln, Zwitschern und Pfeifen. Diese sogenannten „Chorwellen“ entstehen durch stark beschleunigte Elektronen und sind auch auf dem irdischen Magnetfeld bekannt. „Die irdischen Chorwellen sind jedoch nicht annähernd so stark wie die um den Jupiter“, erklärt Richard Horne vom British Antarctic Survey.

Messdaten der Galileo-Sonde haben jedoch gezeigt, dass die Chorwellen in der Nähe des Ganymed sogar noch eine Million Mal intensiver sind als im Durchschnitt des ohnehin schon starken Jupitermagnetfelds. „Selbst wenn nur ein Bruchteil dieser Wellen es schafft, die nähere Umgebung von Ganymed zu verlassen, können sie Elektronen extrem beschleunigen und damit auch für hochenergetische ‚Killer-Elektronen‘ innerhalb des Jupiter-Magnetfeldes sorgen“, erklärt Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) und der Universität Potsdam.

Wird eine Sonde von diesen energiereichen Teilchenströmen getroffen, kann dies ihre Elektronik empfindlich schädigen. Deshalb sind die Instrumente der ESA-Raumsonde JUICE entsprechend abgeschirmt. Wenn sie ab 2031 den Ganymed in Vorbeifügen und später sogar von seinem Orbit aus erkundet, wird sie daher ungestört ihre Messungen absolvieren – das jedenfalls hoffen die Planetenforscher.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Ganymeds Geheimnisse
Warum der größte Mond des Sonnensystems so einzigartig ist

Die vier Monde des Galilei
Besonderheiten von Ganymed und seinen Nachbarn

Ein Sandwich aus Wasser und Eis
Was verbirgt sich unter Ganymeds Kruste?

Die ungleichen Zwillinge
Warum sind Ganymed und Kallisto so verschieden?

Ein Magnetfeld im Magnetfeld
Feldlinien, Polarlichter und Ganymeds Atmosphäre

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