Wichtig für GPS und Funk: Wissenschaftler haben ein neues Vorhersagemodell für die Ionosphäre erstellt – der Schicht, die für die Präzision der Satellitennavigation und die Übertragung von Radio- und Funkwellen entscheidend ist. Das neue Modell wurde mithilfe neuer Satellitendaten und einem KI-System erstellt. Es kann die räumlichen und zeitlichen Schwankungen der Elektronendichte vor allem in der oberen Ionosphäre deutlich präziser abbilden als bisher möglich, wie das Team in „Scientific Reports“ berichtet.
Die von geladenen Teilchen erfüllte Ionosphäre spielt eine entscheidende Rolle für die Satellitennavigation und den Funkverkehr. Denn diese von 60 bis etwa 1.000 Kilometer Höhe reichende Atmosphärenschicht kann von der Erdoberfläche gesendete Funkwellen reflektieren und so ihre Reichweite erhöhen. Gleichzeitig beeinflusst die Elektronendichte in der Ionosphäre auch die Satellitenkommunikation und die Laufzeit der GPS-Satellitensignale. Um präzise Ortungen zu ermöglichen, muss daher die jeweilige Dichte der Ionosphäre genau bekannt sein.
Das Problem jedoch: Die Teilchendichte in der Ionosphäre verändert sich ständig. Sie variiert abhängig von der Tages- und Jahreszeit, von der geografischen Länge und Breite und auch der Sonnenaktivität. Entsprechend wichtig ist es, die Elektronendichte in der Ionosphäre möglichst präzise zu kennen und vorhersagen zu können. Dafür wurden in der Vergangenheit verschiedene Modelle entwickelt, darunter das 2014 erstellte Internationale Referenz-Ionosphärenmodell (IRI).
Datenmangel vor allem zur oberen Ionosphäre
Doch gerade in der für die Satellitennavigation wichtigen oberen Ionosphäre oberhalb von 600 Kilometer Höhe haben die gängigen Modelle Schwächen: Weil es lange an guten, räumlich und zeitlich hochaufgelösten Messdaten fehlte, sind die modellierten Elektronendichten ungenau. „Als Folge weichen die existierenden Ionosphärenmodelle deutlich von beobachteten Werten ab“, erklären Artem Smirnov vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam und seine Kollegen.
Jetzt gibt es Abhilfe: Das Team um Smirnov hat mithilfe neuer Satelliten-Messdaten und einer auf maschinellem Lernen beruhenden Auswertung ein neues, genaueres Ionosphärenmodell erstellt. „Unser Model kann die Elektronendichte in allen Höhenbereichen der Topside-Ionosphäre, in allen Bereichen um die Erde, zu allen Jahres- und Tageszeiten und verschiedenen Leveln der Sonnenaktivität sehr gut rekonstruieren“, sagt Smirnov.
Mit Radio-Okkultationen und KI-System
Basis des Modells bilden satellitengestützte Messungen der Ionosphärendichte mithilfe der Radio-Okkultation. Dabei fangen spezielle Empfänger auf den Messsatelliten die Radiosignale von GPS-Satelliten auf, die von ihnen gesehen hinter dem Horizont stehen. Aus dem Grad der Verzögerung und Ablenkung dieser Signale in der Ionosphäre lässt sich dann ermitteln, welche Teilchendichte in der betreffenden Ionosphärenregion herrscht. Für ihr Modell nutzten die Forschenden die Daten von vier Satellitenmissionen der letzten 19 Jahre: COSMIC, CHAMP sowie GRACE und GRACE-FO.
Im nächsten Schritt kam ein lernfähiges neuronales Netzwerk zum Einsatz: Das KI-System wurde darauf trainiert, aus den Millionen Okkultationsprofilen die Elektronendichte der Ionosphäre zu ermitteln und daraus ein räumlich und zeitlich hoch aufgelöstes Vorhersagemodell zu erstellen. Dafür musste die KI miteinkalkulieren, wie die Elektronendichte durch veränderliche Faktoren wie die Sonnenaktivität, die Jahreszeit oder die Tageszeit beeinflusst wird.
Bis zu 80 Prozent bessere Übereinstimmung
Das Ergebnis: „Unser Model stimmt in bemerkenswerter Weise mit den Messungen überein und es übertrifft das Internationale Referenz-Ionosphärenmodell IRI signifikant an Genauigkeit“, berichtet Smirnov. „Darüber hinaus deckt es den Raum kontinuierlich ab.“ Ein Vergleichstest mit drei nicht im Training verwendeten Satelliten-Datensätzen ergab, dass das IRI-Modell eine 1,6-mal größere Standardabweichung aufweist als das neue NET-Modell. In der Vorhersage der Elektronendichten war es um bis zu 80 Prozent treffsicherer und präziser als IRI.
„Diese Studie stellt einen Paradigmenwechsel in der Ionosphärenforschung dar, denn sie zeigt, dass ionosphärische Dichten mit sehr hoher Genauigkeit rekonstruiert werden können“, sagt Koautor Yuri Shprits vom GFZ. „Das NET-Modell bildet die Auswirkungen zahlreicher physikalischer Prozesse ab, die die Dynamik der Topside-Ionosphäre bestimmen, und kann in der Ionosphärenforschung breite Anwendung finden.“
Relevant für Satelliten, aber auch die Grundlagenforschung
Mögliche Anwendungen sehen die Forschenden zum einen für die Satellitennavigation und -kommunikation, aber auch in grundlegenderen Forschungsfragen. Dazu gehören zum Beispiel Studien zur Wellenausbreitung, zur Kalibrierung neuer Elektronendichte-Datensätze, für tomographische Hintergrundmodelle sowie zur Analyse spezifischer Weltraumwetterereignisse. Gleichzeitig verdeutliche das NET-Modell das Potenzial von Vorhersagemodellen auf Basis neuronaler Netze, so das Team. (Scientific Reports, 2023; doi: 10.1038/s41598-023-28034-z)
Quelle: Deutsches GeoForschungsZentrum Potsdam GFZ