Biologie

Was unsere Chromosomen X-förmig macht

Forscher entschlüsseln das Haltesystem am Centromer der Chromosomen

Chromosom
Kurz vor der Zellteilung haben unsere Chromosomen eine charakteristische X-Form. Dahinter steckt ein raffiniertes Haltesystem. © Blackjack3D/ Getty images

Evolutionäre Patentlösung: Wie die typische X-Form unserer Chromosomen zustande kommt, haben Forschende jetzt entschlüsselt. Demnach sorgt ein raffiniertes Schlüssel-Schloss-Prinzip zweier Proteine dafür, dass die beiden Hälften des Chromosoms bis zum letzten Moment der Zellteilung zusammenbleiben. Erstaunlich dabei: Diese Halterung ist die gleiche, die auch schon beim Schlaufenlegen der DNA zum Einsatz kommt – dies demonstriert die Effizienz der Evolution.

Damit unser Erbgut bei der Zellteilung korrekt auf die Tochterzellen verteilt werden kann, muss der insgesamt zwei Meter lange DNA-Strang erst kopiert und dann auf komplexe Weise gefaltet, in Schlaufen gelegt und in Chromosomen verpackt werden. Dabei sind die beiden Schwesterchromatiden jedes Chromosoms anfänglich auf ganzer Länge verbunden, bevor sich die Arme voneinander lösen und das Chromosom nur noch in der Mitte, am Centromer, zusammengehalten wird. Dies sorgt für die typische X-Form.

„Das Centromer hält die Schwesterchromatiden zusammen und widersteht dem Zerren der Mikrotubuli, bis alle Chromosomen an die beiden mitotischen Spindelapparate angeheftet sind“, erklären Alberto García-Nieto vom Niederländischen Krebsinstitut (NCI) in Amsterdam und seine Kollegen. Löst sich der Halt am Centromer zu früh oder zu spät, wird das Erbgut nicht korrekt auf die Tochterzellen aufgeteilt. Die Folge wären schwere Zellschäden oder sogar der Zelltod.

Cohesin-Shugoshin-Halterung
Das Ensemble aus Cohesin-Ringen (blau) und dem Shogushin-Protein (S) hält erst die Arme der Chromosomen zusammen, dann nur noch das Centromer. So entsteht die X-Form. © García-Nieto et al./ Nature Structural & Molecular Biology, CC-by 4.0

Proteinringe als Halteklammern

Doch wie genau funktioniert diese zentrale Chromosomen-Verbindung? Bekannt war bereits, dass dabei Cohesin-Moleküle eine wichtige Rolle spielen. Diese ringförmigen Proteinkomplexe lagern sich an die ganze Länge der Chromatiden an und halten sie wie winzige Klammern zusammen. „Dabei öffnen sich die Cohesin-Ringe entlang der Arme, bleiben aber in der Mitte des Chromosoms geschlossen“, erklärt Seniorautor Benjamin Rowland vom NCI.

Am Centromer wirkt ein zweites Protein – Shugoshin (SGO1) – wie ein Vorhängeschloss und verhindert dort das Öffnen der Cohesin-Ringe. Doch wie genau dieses SGO1-Schloss funktioniert und wie es mit den zentralen Cohesin-Ringen verbunden ist, war bislang unbekannt. Rowland und sein Team haben deswegen diesen Haltemechanismus mithilfe verschiedener Fluoreszenzmethoden und der Röntgenkristallographie genauer untersucht.

Uralte Andockstelle am Cohesin

Die Analysen enthüllten: Das „Vorhängeschloss“ des Shugoshins besitzt eine Struktur, die wie ein Schlüssel in eine Nische der Cohesin-Ringe passt. Diese Falte im Proteinstrang ist für die Form und den Zusammenhalt des Ringmoleküls wichtig und kommt in nahezu allen Organismen vor. „Dieses SA2-Interface des Cohesins ist von Pilzen bis Säugetieren vorhanden und gilt als essenzielle Ansatzstelle“, erklären die Forschenden.

An genau dieser Ansatzstelle des Cohesins bindet auch das Shugoshin-„Vorhängeschloss“ und sorgt so dafür, dass sich die Ringe am Centromer nicht öffnen können. Als Rowland und sein Team die Cohesin-Falte oder ihren Gegenpart am Shugoshin nur um wenige Aminosäuren veränderten, hatte dies fatale Folgen für die Testzellen: Die Chromosomen ordneten sich nicht richtig an und die Mitose scheiterte entweder völlig oder es kam zu einer fehlerhaften Aufteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen.

„Damit haben wir erstmals die Interaktion zwischen Cohesin und Shugoshin strukturell entschlüsselt“, schreiben García-Nieto und seine Kollegen. Ihre Analysen zeigen, welche Aminosäuren bei diesem Haltemechanismus das Schloss bilden und dadurch das Chromosom am Centromer zusammenhalten. „Indem dieser Mechanismus das Cohesin exakt zur richtigen Zeit und am richtigen fixiert, bestimmt er die Form unserer Chromosomen“, sagt Rowland.

Doppelfunktion des Haltesystems
Multifunktionell: Das Haltesystem (CES) am Cohesin kommt in der Zelle sowohl beim Schlaufenlegen der DNA (links) als auch im Chromosomen-Centromer zum Einsatz. © García-Nieto et al./ Nature Structural & Molecular Biology, CC-by 4.0

Haltesystem ist multifunktionell

Das Überraschende jedoch: Der nahezu identische Haltemechanismus kommt noch an anderer Stelle der DNA-Verpackung zum Tragen. Denn beim Schlaufenlegen des Erbguts nutzt das sogenannte CTCF-Protein die gleiche Andockstelle des Cohesins, um das Falten der DNA zu kontrollieren. „Wir scheinen hier einen universellen Mechanismus entdeckt zu haben“, sagt Rowland. „Er kontrolliert die Cohesin-Komplexe unabhängig davon, ob sie gerade die DNA in komplexe Schlaufen legen oder die beiden Schwester-Chromatiden zusammenhalten.“

Die Evolution hat demnach ein Haltesystem entwickelt, das in der Zelle gleich mehrfach bei verschiedenen Aufgaben zum Einsatz kommt. Das macht unserer Zellmaschinerie besonders effizient und robust. „Noch außergewöhnlicher ist, dass CTCF und Shugoshin nicht die einzigen Proteine sind, die dieses Schloss nutzen“, sagt Rowland. Wie die Wissenschaftler feststellten, kommt der Andockmechanismus auch bei anderen Prozessen vor, die die Form und das Ablesen der DNA regulieren. „CTCF und SGO1 könnten demnach nur die Spitze eines ganzen Eisbergs sein“, so das Team. (Nature Structural & Molecular Biology, 2023; doi: 10.1038/s41594-023-00968-y)

Quelle: Netherlands Cancer Institute

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