Nach landläufiger Vorstellung waren die Mongolen unter Dschingis Khan ein nomadisches Reitervolk, das nirgendwo lange blieb und dessen Leben sich primär in Zelten, auf dem Rücken ihrer Pferde und bei blutigen Angriffen abspielte. Doch das täuscht. Denn die Mongolen zerstörten nicht nur, sie etablierten in den von ihnen eroberten Gebieten eine effiziente Verwaltung, Wirtschaft und Kultur.
Ein Codex für alle
Das Reich der Mongolen war von einer Gesellschafts- und Staatsordnung geprägt, die für damalige Zeit erstaunlich fortgeschritten und tolerant war. Richtschnur für alle Untertanen war dabei das „Yassa“, eine Art Codex, den Dschingis Khan schon bei seiner Ernennung zum Großkhan der Mongolen festgelegt hatte. In ihm wurden Grundregeln für das militärische und zivile Zusammenleben aufgestellt, darunter Strafen für Mord, Misshandlung von Frauen und das Töten von Kindern. Auch Missachtung von Pflichten, Befehlsverweigerung oder Verrat wurden hart bestraft.
Ein umfassendes Verwaltungsnetzwerk sorgte zudem dafür, dass Handel, Transport und Versorgung im Mongolengebiet geregelt abliefen. Es gab Steuern und Zölle, gezahlt wurde mit Münzen oder mit rechteckigen Banknoten – einem der frühesten Beispiele für Papiergeld. Offizielle Dokumente und Edikte wurden in mehrere Verwaltungssprachen übersetzt – in Dschingis Khans Reich entwickelte sich eine einheitliche mongolische Schrift. Unter mongolischer Herrschaft blühte auch der Fernhandel auf, unter anderem über die Seidenstraße. Die tausende Kilometer überbrückenden Handelswege wurden in Stand gehalten und durch Truppen vor Räubern geschützt.
Viele Sprachen und Religionen
Eine der großen Herausforderungen im Mongolenreich war seine Vielfalt: Das Herrschaftsgebiet Dschingis Khans umfasste unzählige verschiedene Völker, Sprachen, Religionen und Kulturen. Statt seinen Untertanen eine einheitliche Sprache oder Schrift aufzuzwingen, erlaubte es ihnen Dschingis Khan, ihre Tradition, Religion und Kultur zu behalten. Im Yassa wurde die Religionsfreiheit ausdrücklich gewährt und religiöse Führer, aber auch Rechtskundige, Ärzte und Wissenschaftler waren von der Steuer befreit. Historiker führen die religiöse Toleranz der Mongolen darauf zurück, dass der Glaube unter den mongolischen Steppenvölkern weitgehend als Privatsache galt und nicht als identitätsstiftendes Merkmal eines Stammes oder Khanats.
Anders als in vielen Gesellschaften der damaligen Zeit wurden hohe Posten in der zivilen und militärischen Führung des Mongolenreichs zudem nicht nach Volkszugehörigkeit, Verwandtschaft oder Religion vergeben, sondern in der Regel nach Fähigkeiten und Leistung – ähnlich einer Meritokratie.
Die Mongolen-Metropole Karakorum
Wie fortschrittlich das Mongolenreich in vieler Hinsicht war, belegt auch die 1220 unter Dschingis Khans Herrschaft geplante und gebaute Mongolen-Hauptstadt Karakorum. Sie lag im Orchon-Tal, rund 320 Kilometer westlich der heutigen Stadt Ulaanbaatar. „Karakorum wurde 1220 von Dschingis Khan gegründet, unter seinem Sohn Ögedei Khan wurde sie dann zur internationalen Metropole“, erklärt Christina Franken vom Deutschen Archäologischen Institut. Die Mongolen-Hauptstadt umfasste eine großes Palastareal, aber auch verschiedene Tempel und Moscheen, Werkstätten und Wohnviertel.
Karakorum profitierte von seiner Lage unweit der Seidenstraße und anderer wichtiger Fernhandelswege, denn über sie kamen täglich neue Waren, Innovationen und kulturelle Impulse. „Die Stadt war ein bedeutendes Handelszentrum, ein Knotenpunkt für den Wissen- und Technologietransfer zwischen West und Ost und für den weltoffenen Austausch auf kultureller Ebene“, sagt Franken. Davon zeugen zahlreiche archäologische Funde, darunter Münzen, Keramik, Schmuck und andere Objekte, die aus Persien, China oder dem Nahen Osten stammten.
Karakorum blieb bis 1260 das Zentrum des Mongolenreichs, dann verlegte Dschingis Khans Enkel Kublai Khan die Hauptstadt nach Peking. Heute ist vom einstigen Glanz Karakorums nichts mehr zu sehen. Die alte Mongolen-Hauptstadt wurde 1388 von den Chinesen zerstört, ihre Ruinen dienten später als Steinbruch für ein nahegelegenes buddhistisches Kloster.