Barriere durchbrochen: Kleine Mikroplastik-Partikel aus der Nahrung können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und bis ins Gehirn dringen, wie Tests mit Mäusen bestätigen. Die gut 200 Nanometer kleinen Plastikteilchen waren schon zwei Stunden nach Aufnahme mit der Nahrung im Gehirn nachweisbar. Durch die Blut-Hirn-Schranke gelangt das Mikroplastik dabei mithilfe von angelagerten körpereigenen Molekülen wie Cholesterin – sie erleichtern dem Kunststoff die Passage durch Membranbarrieren.
Mikroplastik ist längst überall: in Luft, Wasser und Böden, aber auch in der Nahrungskette, im Trinkwasser und in unserem Körper. Dort kann es in Gewebe und Organe eindringen und durchbricht sogar die Barriere zu unserem Gehirn. Studien legen zudem nahe, dass größere Mikroplastik-Partikel die Zellmembranen mechanisch schädigen und Entzündungen fördern, während kleinere diese Doppellipidmembran passieren können. Diese Passage wird begünstigt, wenn sich biologische Moleküle an die Plastikteilchen angelagert haben.
Ankunft im Gehirn schon zwei Stunden nach oraler Aufnahme
Wie das Mikroplastik ins Gehirn gelangt und die Blut-Hirn-Schranke überwindet, haben Verena Kopatz von der Medizinischen Universität Wien und ihre Kollegen nun näher untersucht. Dafür nutzten sie Mikroplastik aus dem Kunststoff Polystrol in drei Größen – 9,5 Mikrometer, 1,14 Mikrometer und 293 Nanometer. Die winzigen Kügelchen wurden je nach Größe mit verschiedenen Fluoreszenzmarkern gekennzeichnet und kurze Zeit in einer simulierten Verdauungsflüssigkeit vorbehandelt. Dann wurden sie Mäusen oral verabreicht.
Das Ergebnis: „Zu unserer Überraschung beobachteten wir die grünen Fluoreszenzsignale der kleinsten Mikroplastik-Partikel schon zwei Stunden später im Gehirn der Tiere“, berichten die Forschenden. „Das deutet darauf hin, dass Polystyrol-Nanoplastik die Darmbarriere und die Blut-Hirn-Schranke in relativ kurzer Zeit durchdringen kann.“ Dabei ist die Größe der Kunststoffteilchen offenbar entscheidend: Mikroplastik mit einer Größe von mehr als einem Mikrometer gelang die Passage nicht.
Cholesterinhülle hilft beim Durchdringen der Barriere
Doch wie schaffen es die Mikroplastik-Partikel, die für den Schutz des Gehirns so wichtige Blut-Hirn-Schranke zu passieren? Um das zu ermitteln, führten Kopatz und ihre Kollegen Computersimulationen mit nahezu atomarer Auflösung durch. Die virtuelle Blut-Hirn-Schranke bildete eine Doppellipidmembran aus dem Phospholipid DOPC, als Mikroplastik wurden Polystyrol-Kügelchen in Reinform, mit einer Hülle aus körpereigenen Cholesterin-Molekülen oder mit einer Hülle aus angelagerten Proteinen gewählt.
Die Modellsimulationen ergaben: Ob Mikroplastik in die Membran eindringen kann, hängt entscheidend von seiner „Bio-Korona“ aus angelagerten Molekülen ab. Besteht sie primär aus Proteinen, verhindert dies die Passage durch die Membranbarriere. Sind die Polystolpartikel dagegen von Cholesterin umhüllt oder nackt, dann können sie in die Doppellipidmembran eindringen. „Dies unterstreicht, wie wichtig es für die Risikoeinschätzung ist, die über Anlagerungen aus der Umwelt erworbene ‚Corona‘ auf der Oberfläche der Plastikpartikel zu verstehen“, schreiben Kopatz und ihre Kollegen.
Mehr Forschung nötig
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist es daher dringend nötig, die Interaktion von Mikroplastik mit unseren Geweben, Membranen und Zellen weiter zu erforschen. „Um die potenziellen Schäden von Mikro- und Nanoplastikpartikeln für Mensch und Umwelt zu minimieren, ist es von entscheidender Bedeutung, die Exposition zu begrenzen und ihre Verwendung einzuschränken, während die Auswirkungen von MNP weiter erforscht werden“, sagt Seniorautor Lukas Kenner von der Medizinischen Universität Wien.
Um die Aufnahme von Mikroplastik im Alltag zu verringern, kann schon die Wahl des Getränks ausschlaggebend sein: Wer die empfohlenen 1,5 bis zwei Liter Wasser pro Tag aus Plastikflaschen trinkt, nimmt dadurch einer Studie zufolge rund 90.000 Plastikpartikel pro Jahr zu sich. Wer jedoch zu Leitungswasser greift, kann – je nach geografischer Lage – die aufgenommene Menge auf 40.000 reduzieren. (nanomaterials, 2023; doi: 10.3390/nano13081404)
Quelle: Medizinische Universität Wien