„Eines der frustrierendsten Dinge beim Studium von Fossilien ist das Wissen, dass man nie ein lebendes Mitglied dieser ausgestorbenen Art zu Gesicht bekommen wird. Es ist ein seltsames Gefühl, das ich mit dem von Astronomen und Sternguckern vergleiche, die zwar Planeten und Sterne sehen und studieren können, aber wissen, dass sie sie nie besuchen können“, beklagt der britische Paläontologe Dean Lomax.
Doch vielleicht müssen wir die Tiere auch gar nicht „live“ erleben. Denn manche von ihnen haben uns ihre Geschichte in einer versteinerten Zeitkapsel übermittelt und erlauben uns so einen einmaligen Einblick in die Aufs und Abs ihres Lebens.
Zwischen Hightech und fossilem Dung
Die Erforschung aktueller Verhaltensweisen wie der Jagdstrategie eines Löwenrudels oder der Brutpflege eines Rotkehlchens bezeichnet man als Ethologie. Das Verhalten ausgestorbener Tiere hingegen ist Gegenstand der sogenannten Paläoethologie. Doch wie ist es überhaupt möglich, das Verhalten von Tieren zu studieren, die gar nicht mehr existieren? „Es gibt drei Ansätze, um von Fossilien auf Funktion und Verhalten zu schließen: empirische Beweise, Vergleiche mit modernen Analoga und biomechanische Modellierung“, erklärt Michael Benton von der University of Bristol.
Biomechanische Modelle arbeiten mit spezieller Computer-Software und können Aufschluss darüber geben, wie sich prähistorische Tiere bewegt haben und welchen Belastungen ihr Körper standhielt. So lässt sich etwa die Bisskraft eines T. rex ermitteln oder wie die riesigen Terrorvögel einst ihren kräftigen Schnabel bei der Jagd einsetzten. Besonders präzise werden diese Berechnungen, wenn man sie mit dem anatomischen Wissen über lebende Tiere untermauert, die viele Gemeinsamkeiten mit den Urzeit-Kreaturen aufweisen. Man spricht auch von modernen Analoga. Im Falle des Terrorvogels halfen etwa Vergleiche mit einem Adler und einem Kranichvogel.
Doch das unmittelbarste Werkzeug der Paläoethologie bleiben empirische Beweise. Dazu zählen zum Beispiel Bernstein-Einschlüsse, versteinerte Dinofährten oder fossiler Dung und Mageninhalt, die auf die Nahrungsvorlieben eines Tieres schließen lassen. Besonders spektakulär sind Funde, die die letzte, ebenfalls versteinerte Mahlzeit eines Tieres dokumentieren, wie ein Fisch, der beim Verschlingen eines anderen Fisches erstickt ist. Doch es gibt Fossilien, die noch deutlich außergewöhnlichere Todesszenarien und Verhaltensweisen dokumentieren.
Tödlicher Treibsand
Der US-Bundesstaat Utah vor 125 Millionen Jahren, nahe dem heutigen Moab: Eine Gruppe Utahraptoren hat leichte Beute ausfindig gemacht. Ein massiger Iguanodont – einem Entenschnabeldinosaurier nicht unähnlich – steckt im Schlamm fest. Doch das verlockende Buffet hat einen Haken. Beim Versuch, sich der Beute zu nähern, bleiben die Raptoren der Reihe nach selbst im Treibsand stecken. Mindestens ein rund fünf Meter langer Erwachsener sowie einige zum Teil nur hühnergroße Jungtiere verenden an der Seite ihrer Beute.
So oder so ähnlich hätte damals der riesige Gesteinsblock mit zahlreichen Skeletten zustande kommen können, den Ausgrabungsleiter Jim Kirkland und sein Team aktuell freilegen. Einerseits ist die Fundstelle der früheste Hinweis auf eine Todesfalle für Raubtiere, doch andererseits könnte sie auch mehr über das Sozialverhalten der Utahraptoren verraten. Noch sind Kirklands Analysen nicht abgeschlossen, aber sobald sie es sind, könnten sie womöglich erstmals verlässlich beantworten, ob Raptoren tatsächlich in sozialen Gruppen gelebt und gejagt haben, wie etwa in der „Jurassic Park“-Reihe dargestellt.
Prähistorisches Pompeji
Doch die Treibsand-Tragödie ist nicht das einzige Beispiel für eine Momentaufnahme prähistorischen Tierverhaltens. Lange Zeit nach den Raptoren, vor etwa zwölf Millionen Jahren, ereilte Hunderte von Tieren im US-Bundesstaat Nebraska ebenfalls ein tragisches Schicksal. Ihr Leben an einem Wasserloch inmitten einer blühenden Savanne wurde jäh beendet, als die meterdicke Ascheschicht eines Supervulkans sie unter sich begrub – ähnlich wie in der Antike die Stadt Pompeji. Lediglich mit der Ausnahme, dass größere Tiere nicht unmittelbar nach dem Ausbruch starben, sondern erst ein paar Wochen darauf aufgrund von Lungenschäden.
Dieses Schicksal traf unter anderem eine Herde prähistorischer Nashörner der Art Teleoceras major. Eine Tragödie der Vergangenheit, doch ein Glücksfall der Gegenwart. „Diese Ansammlung artikulierter Skelette ermöglicht eine Bewertung des Geschlechts- und Sexualdimorphismus sowie der Alters- und Sozialstrukturen der Herde“, erklären Shane Tucker von der University of Nebraska-Lincoln und seine Kollegen. Da verhältnismäßig viele Kälber gefunden wurden, gehen die Paläontologen davon aus, dass die Nashörner sich saisonal fortpflanzten, ähnlich wie heutige Bisons. Außerdem paarten sich wahrscheinlich einige dominante Männchen jeweils mit mehreren Weibchen.
Doch die im Treibsand feststeckenden Raptoren und der Vulkanausbruch in Nebraska sind nur zwei von unzähligen Beispielen für besondere Fossilien, die uns mehr über das Verhalten ausgestorbener Tiere verraten. Andere Fossilien berichten außerdem von erbitterten Kämpfen und einstigen Nahrungsketten, von prähistorischen Massenwanderungen, von elterlicher Fürsorge und von Balztänzen.