„El Niño“, das Christkind – so haben peruanische Fischer einst die alle paar Jahre auftretende Klimaanomalie entlang der Westküste Südamerikas getauft. Denn dieses Klimaphänomen manifestierte sich meist im Herbst und Winter und brachte den Fischern leere Netze und eine Zwangspause zur Weihnachtszeit.
Doch der harmlose Name trügt: Der El Niño ist ein Klimaphänomen mit weltweiten Auswirkungen und teilweise schwerwiegenden Folgen. „Das El Niño-Phänomen ist eines der wichtigsten Merkmale des globalen Klimasystems, und Änderungen seines Verhaltens haben schwerwiegende Auswirkungen auf das Wetter und extreme Ereignisse auf der ganzen Welt“, erklärt Benjamin Henley von der University of Melbourne.
2023: Die Zeichen stehen auf El Niño
Jetzt wird das Thema wieder akut: Für die zweite Jahreshälfte 2023 sagen Klimaforscher einen El Niño voraus. Messdaten aus dem äquatorialen Pazifik zeigen, dass die Temperaturen dort bereits 0,4 Grad über dem langjährigen Mittel für den Monat Mai liegen. „Dies ist nur noch 0,1 Grad von der 0,5-Grad-Schwelle entfernt, die für El-Niño-Bedingungen nötig ist“, erklärt Nat Johnson von der US National Atmospheric and Oceanic Administration (NOAA). „Auch die Temperaturen der tieferen Wasserschichten haben sich erhöht – sie liefern damit das warme Wasser für einen sich entwickelnden El Niño.“
Auch die World Meteorological Organization (WMO) sieht klare Vorzeichen für einen neuen El Niño. Sie beziffert die Chance für einen Begin dieser Klimaanomalie schon in den nächsten Wochen auf rund 60 Prozent, bis September auf bis zu 80 Prozent. Modelle anderer Forschungseinrichtungen sehen sogar eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit. Zwar zeigen die Luftströmungen über dem tropischen Pazifik bisher noch nicht die El-Niño-typische Veränderungen. Diese könnte aber demnächst eintreten – und damit offiziell eine El-Niño-Phase einläuten.
Erwärmung über 1,5 Grad hinaus
„Die Welt sollte sich auf einen neuen El Niño vorbereiten“, sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. Denn die Auswirkungen dieser Klimaanomalie seien weltweit zu spüren. „Wir haben gerade die acht wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hinter uns – obwohl es in den letzten drei Jahren eine kühlende La Niña gab. Ein neuer El Niño wird wahrscheinlich zu einem erneuten Sprung in der globalen Erwärmung führen und die Wahrscheinlichkeit für neue Klimarekorde erhöhen.“
Den Prognosen zufolge könnte der Wärmeschub im tropischen Pazifik dazu führen, dass die globale Mitteltemperatur spätestens im Jahr 2024 einen neuen Rekordwert erreicht. Möglicherweise wird sogar die Marke von 1,5 Grad Erwärmung gegenüber präindustriellen Zeiten überschritten – die Schwelle, die laut Klimaabkommen von Paris eigentlich als nicht zu überschreitende Obergrenze anvisiert wurde. Weil aber im internationalen Klimaschutz zu wenig getan wurde, ist die Chance, dieses Klimaschutzziel zu erreichen, in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken
Der sich anbahnende El Niño verschärft die Lage nun zusätzlich: Laut WMO besteht eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Jahresmitteltemperaturen zwischen 2023 und 2027 in mindestens einem dieser Jahre oberhalb von 1,5 Grad Erwärmung liegen werden. „Der El Niño, kombiniert mit der menschengemachten Erwärmung, wird die globalen Temperauren in bisher unbekannte Gefilde treiben“, sagt Taalas. „Dies wird weitreichende Konsequenzen für Gesundheit, Nahrungssicherheit, Wasser-Management und die Umwelt haben.
Jeder El Niño kostet die Weltwirtschaft Billionen
Wie schwerwiegend die Auswirkungen eines El Niño nicht nur für die unmittelbar betroffenen Regionen, sondern auch für die gesamte Weltwirtschaft sind, haben Christopher Callahan und Justin Mankin vom Dartmouth College in den USA ermittelt. Für ihre im Mai 2023 veröffentlichte Studie hatten sie anhand des Bruttoninlandsprodukts von Ländern weltweit untersucht, ob und wie sich ein starker El Niño in den Folgejahren auf die Wirtschaft auswirkt.
Das Ergebnis: In den fünf Jahren nach einem El Niño kommt es zu einer messbaren Senke der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und einem deutlich verlangsamten Wirtschaftswachstum. Ursachen dafür sind zum einen die Folgen von Wetterextremen und Ernteeinbußen in den unmittelbar betroffenen Ländern des tropischen Pazifikraums, aber auch Lieferengpässe und Preissteigerungen auf den globalen Märkten. Dadurch kam es nach dem starken El Nino von 1997/1998 weltweit zu Verlusten von insgesamt 5,7 Billionen US-Dollar.
Für die Zeit nach dem El Niño von 2023 sagen Callahan und Mankin weltweite Einbußen von rund drei Billionen US-Dollar voraus – mindestens. „Wir können mit Sicherheit sagen, dass Gesellschaften und Wirtschaftssysteme nicht einfach nur einen kurzzeitigen Schlag hinnehmen und sich dann erholen“, sagt Callahan. „Stattdessen sind diese Klimaschwankungen unglaublich teuer und lassen das Wachstum über Jahre hinweg stagnieren.“
Doch was macht den El Niño so folgenreich? Und wie zeigt er sich?