Die ESA-Sonde Mars Express hat uns nicht nur unzählige Daten und Aufnahmen vom Mars und seiner Oberfläche geliefert – wir verdanken ihr auch wesentliche Erkenntnisse über den kleinen Marsmond Phobos. Dieser nur 26 mal 22 Kilometer große Mond ist auffallend unregelmäßig geformt und umkreist den Planeten in nur 6.000 Kilometer Höhe – näher als jeder andere Mond im Sonnensystem.
Eingefangener Asteroid oder echter Mond?
Deshalb gingen Planetenforscher lange davon aus, dass es sich bei Phobos und dem ähnlich kleinen Marsmond Deimos m eingefangenen Asteroiden handelt – Brocken aus dem nahen Asteroidengürtel, die einst zufällig in Marsnähe gelangten und dann von dessen Schwerkraft festgehalten wurden. Denkbar wäre aber auch, dass die kleinen Marstrabanten vor Ort entstanden – beispielsweise aus den Trümmern eines Einschlags oder eines zerstörten größeren Marsmonds.
Das Problem jedoch: Welches Szenario zutraf, ließ sich nur anhand der Zusammensetzung und Dichte der Marsmonde klären. Doch bis zum Eintreffen von Mars Express gab es keine Raumsonde, die dafür nahe genug an Phobos herankommen konnte. Erst der elliptische Orbit der ESA-Sonde ermöglichte es ihr, die Umlaufbahn des Marsmonds immer wieder zu kreuzen und dabei Phobos im Abstand von weniger als 100 Kilometern zu passieren. Seit 2008 hat Mars Express mehr als 50 solcher nahen Vorbeiflüge absolviert und so erstmals nähere Informationen zum kleinen Marsmond geliefert.
Rätselhafte Riefen und die Frage der Dichte
Schon 2008 enthüllten hochaufgelöste Aufnahmen des ersten Vorbeiflugs, dass die Oberfläche von Phobos von einem auffallende Riefenmuster aus langgezogenen Gräben durchzogen ist. Inzwischen haben Planetenforscher herausgefunden, dass ein Teil dieser Gräben wahrscheinlich Dehnungsrisse sind, ein andere Teil dagegen von Einschlagstrümmern erzeugt wurde. Diese wurden zunächst ins All geschleudert und umkreisten den Mars, bevor sie dann wieder auf Phobos einschlugen und über seine Oberfläche schrammten.
Im Jahr 2010 enthüllten Daten des Fourier-Spektrometers an Bord der Mars-Express-Sonde, dass das Material von Phobos nur wenig Übereinstimmung mit typischen kohlenstoffhaltigen Chondriten zeigt – dem Material, aus dem die meisten Meteoriten und viele Asteroiden bestehen. Noch erhellender war ein Experiment, mit dem Wissenschaftler im gleichen Jahr erstmals die Masse des Marsmonds genauer bestimmen konnten – und damit auch seine Dichte.
Ein fliegender Geröllhaufen
Dafür werteten sie winzige Variationen in der Frequenz der Radiosignale aus, die Mars Express während eines nahen Vorbeiflugs am Phobos sendete. Diese Schwankungen verrieten, wie groß der Schwerkrafteinfluss des Marsmondes auf die Sonde war und ermöglichten so die Berechnung seiner Masse. Das Ergebnis: Phobos wiegt rund zehn Billionen Tonnen und hat eine Dichte von rund 1,88 Gramm pro Kubikzentimeter. Damit ist er viel leichter als ein typischer, massiver Asteroid seiner Größe. Stattdessen ähnelt Phobos Beschaffenheit eher einem lose zusammengehaltenen Geröllhaufen mit vielen Hohlräumen.
Zusammen mit den restlichen Informationen legten diese Daten nahe, dass der kleine Marsmond wahrscheinlich kein eingefangener Asteroid ist – er wäre dabei vermutlich zerbrochen. Wie aber entstand Phobos dann? Wurde er womöglich aus einem ehemaligen Ring des Mars gebildet? Dann müsste die Umlaufbahn des Marsmonds allerdings auf der Eben des Marsäquators liegen wie für planetare Ringe meist üblich. Phobos‘ Orbit ist jedoch um knapp zwei Grad gegen den Marsäquator geneigt.
Der marsianische Ringzyklus
Eine mögliche Lösung des Rätsels haben im Jahr 2020 Forscher um Matija Cuk vom SETI-Institute vorgeschlagen. Demnach könnte Phobos das Überbleibsel eines seit Milliarden Jahren anhaltenden Wechsels von Ringen und Monden um den Mars sein. Dabei gab es anfangs einen großen inneren Marsmond, der dann jedoch zerrissen wurde und aus dessen Trümmern ein Ring entstand. Dieser verlor einen Teil seines Materials an den Mars, der Rest ballte sich zu einem neuen, kleineren Marsmond zusammen.
Dieser Zyklus von Ringbildung, Mondentstehung und Zerfall wiederholte sich so lange, bis nur noch der kleine Phobos übrig blieb. Er ist gewissermaßen der Urenkel seines allerersten Vorgängers. Ob dieses Szenario stimmt, könnte im Jahr 2024 zeigen. Denn dann soll eine japanische Raumsonde Phobos besuchen und erstmals Proben von seiner Oberfläche zur Erde zurückbringen.