Videospiele haben häufig mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie würden dick, dumm und süchtig machen. Doch so langsam wendet sich das Blatt und zahlreiche wissenschaftliche Studien haben den Ruf der Spieleindustrie verbessert. So berichtet zum Beispiel Linda Breitlauch von der Hochschule Trier, dass sich regelmäßiges Spielen positiv auf Hand-Augen-Koordination, Geschicklichkeit, Kreativität, Teamfähigkeit und Sprachkompetenz auswirkt.
Spielspaß mit Lerneffekt
Einige Studien konnten sogar nachweisen, dass Gaming messbare Veränderungen im Gehirn bewirkt: Es vergrößert jene Bereiche, die für räumliche Orientierung, Aufmerksamkeit, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik wichtig sind. „Zudem zeigt sich, dass Unterhaltungsspiele Intelligenz fördern können“, so Breitlauch. Das umfasst unter anderem Problemlösefähigkeiten, Situationsbewusstsein und einen gestärkten Zahlensinn.
Wenn Videospiele uns also auf derart vielfältige Weise positiv beeinflussen können, dann müssten sie sich auch gezielt für Zwecke jenseits der reinen Unterhaltung einsetzen lassen. Dieses große Potenzial hat das Genre der sogenannten „Serious Games“ längst erkannt. Diese kombinieren Spielspaß mit Lernen und versuchen, den Gamern spielerisch schulische Inhalte oder gesellschaftlich relevante Themen wie Nachhaltigkeit näherzubringen. Mittlerweile bilden Serious Games sogar ihre eigene Kategorie bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises.
Simulierte Operationen und Schmerzmittel-Ersatz
Ein Teil der Serious Games sind die sogenannten Health Games. Diese Gesundheitsspiele können sich sowohl an medizinisches Personal als auch an Patienten richten. So können angehende Ärzte etwa Operationen realitätsgetreu simulieren oder Fachwissen pauken. Patienten hingegen profitieren von Videospielen unter anderem in der Prävention. Mithilfe speziell dafür entwickelter Spiele können sie zum Beispiel mehr über eine gesündere Lebensweise oder ihr eigenes Krankheitsbild lernen.
Aber auch ergänzend zu einer medizinischen Behandlung lassen sich Health Games effizient einsetzen, etwa um von starken Schmerzen abzulenken oder um zusätzliche Physiotherapie-Stunden in den eigenen vier Wänden zu absolvieren. „Einige Studien lassen sogar den Schluss zu, dass in bestimmten therapeutischen Bereichen der Einsatz von Computerspielen eine signifikant bessere Wirkung erzielen kann als herkömmliche Therapiemethoden“, erklärt Breitlauch.
Videospiele aktivieren Belohnungssystem
Doch was macht ein gutes Health Game aus? „Anders als bei reinen Unterhaltungsspielen lässt sich der Erfolg eines Serious Games nicht allein durch Verkaufszahlen messen“, so Breitlauch. Damit ein Spiel für die Gesundheit großflächig zum Einsatz kommen kann, muss zunächst nachgewiesen werden, dass es auch wirklich den gewünschten Effekt erzielt. Dass die Spieler also tatsächlich etwas dabei lernen oder ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten verbessern. „Gute Serious Games zeichnet aus, dass beide Achsen – die Inhalte und der Spielspaß – zusammenpassen“, ergänzt Stefan Göbel von der TU Darmstadt im Interview.
Dabei sind Lernfortschritt und Spielspaß sogar eng miteinander verknüpft. Denn der Spaß steigert die intrinsische Motivation des Spielers und diese wiederum ist essenziell dafür, wie gut und nachhaltig wir etwas lernen. Oder anders herum ausgedrückt: „Spielspaß entsteht folglich dann, wenn gelernt wird“, so Breitlauch. Essenziell für den Spaß ist aber auch, dass ein Spiel gut konzipiert ist, also zum Beispiel nutzerfreundlich entworfen oder mit Herausforderungen gespickt, für deren Bewältigung uns das Game belohnt.
Hohe Hürden beschränken den Markt
Doch selbst Spiele, die Spaß machen und ihren medizinischen Zweck erfüllen, haben es auf dem Gaming-Markt häufig schwer. Denn um wirklich erfolgreich zu sein, müssen die Spiele auch von den Krankenkassen oder anderen Leistungsträgern gefördert und als Therapiemaßnahme anerkannt werden. Die Krankenkassen wollen zum Beispiel konkret wissen, wie stark die medizinischen Effekte eines Spiels sind und wie viel sie selbst durch Health Games einsparen können. Doch dafür braucht es langfristige und teure Studien, die nicht jeder Spiele-Entwickler liefern kann.
„Eine weitere Hürde ist die Einstufung als Medical App, also als Medizinprodukt. Es gibt Entwicklerinnen und Entwickler von Health Games oder Apps, die bewusst sagen: Es ist kein Medizinprodukt, sondern ein Lifestyle-Produkt. Denn für die Zertifizierung entstehen hohe Kosten: Man braucht einen fünf- bis sechsstelligen Betrag und der Prozess dauert etwa ein Jahr. Manche Entwicklerinnen oder Entwickler gehen aber auch bewusst diesen Weg, damit das Produkt – zum Beispiel von den Krankenkassen – eher anerkannt wird“, gibt Göbel Einblicke in die Branche.
Trotz dieser Hindernisse haben es einige Health Games geschafft, sich in der Medizin zu etablieren, oder sind auf dem besten Weg dorthin.