Klima-Kompensation beziffert: Um ihre Klimaschulden zu begleichen, müssten die Industrieländer den Ländern des globalen Südens rund 170 Billionen US-Dollar Entschädigung zahlen, wie eine Studie aufzeigt. Dies dient als Kompensation dafür, dass die reichen Länder ihren Anteil am globalen CO2-Budget um das mehr als Dreifache überschritten haben. Deutschland überschreitet seinen Budgetanteil um das 2,8-Fache und müsste im Zuge der Klimagerechtigkeit eigentlich gut 4.600 US-Dollar pro Kopf an die ärmeren Länder abgeben.
Der menschengemachte Klimawandel ist alles andere als fair oder gerecht: Während die Industrieländer mit ihren enormen CO2-Emissionen die Hauptschuld an der Klimakrise tragen, sind die ärmeren Länder des globalen Südens die Hauptleidtragenden. Sie haben historisch nur wenig zum anthropogenen Treibhauseffekt beigetragen, bekommen aber die Auswirkungen in Form von Wetterextremen, Hitze und Überflutungen am stärksten zu spüren.
CO2-Budget und nationale Emissionen im Vergleich
„Diese ungleiche historische Verantwortung ist aus Sicht der Klimagerechtigkeit problematisch, vor allem, wenn man von der Atmosphäre als Gemeingut ausgeht“, konstatieren Andrew Fanning von der University of Leeds und Jason Hickel von der London School of Economics and Political Science. Unter anderem deshalb fordert der globale Süden von den Industrieländern schon seit Jahren entsprechende finanzielle Hilfen und Unterstützung bei der Klimaanpassung und der Dekarbonisierung ihrer Wirtschaften.
Doch das konkrete Ausmaß der „Klimaschuld“ und der dadurch fälligen Kompensation zu ermitteln, ist alles andere als einfach. Fanning und Hickel haben daher einen Ansatz gewählt, der vom globalen CO2-Budget der Menschheit ausgeht. Als solches verstehen sie die Menge an Kohlendioxid, die von 1960 bis 2050 emittiert werden darf, um das 1,5-Grad-Ziel oder das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen. Dieses Budget liegt den Berechnungen zufolge bei insgesamt 1,8 Billionen Tonnen CO2.
Die Forscher ermittelten dann, wie viel von diesem CO2-Budget jeweils auf die 168 einzelnen Länder entfällt, darunter 129 aus dem globalen Süden und 39 Industrieländer des globalen Nordens inklusive Australien und Neuseeland.
Deutschland hat das 2,8-Fache seines Budgets emittiert
Das Ergebnis ist eine Liste, aus der für jedes Land hervorgeht, wie stark es seinen Anteil am globalen CO2-Budget ausgeschöpft oder sogar überschritten hat. „Die Gruppe der 39 Industrieländer hat ihren kollektiven fairen Anteil am CO2-Budget für 1,5-Grad schon jetzt um das mehr als Zweieinhalbfache überschritten“, berichten die Forscher. „Dies gilt für alle Länder des globalen Nordens. Zusammen sind sie für 91 Prozent der kumulativen Emissionsüberschüsse von 1960 bis 2019 verantwortlich.“
Deutschland gehört ebenfalls dazu: Wir haben seit 1960 schon das 2,8-Fache des uns zustehenden CO2-Budgets freigesetzt. Die USA liegen sogar um das Vierfache über ihrem Budget, wie Fanning und Hickel berichten. Demgegenüber haben die meisten Länder des globalen Südens ihr CO2-Budget bisher kaum ausgeschöpft. Selbst Indien, das heute der größte Emittent von Treibhausgasen ist, hat historisch betrachtet erst ein Viertel des ihm zustehenden CO2-Anteils ausgestoßen.
Was bedeutet dies finanziell?
Doch was bedeutet dies für die Kompensation? Um dies zu ermitteln, nutzten die Forscher die CO2-Preise, die der Weltklimarat IPCC in seinem letzten Sachstandsbericht als nötig für das 1,5-Grad-Ziel und die damit verknüpften Maßnahmen angegeben hat. Anhand dieser für 2020 bis 2050 geltenden CO2-Preise bezifferten die Wissenschaftler dann den finanziellen Gegenwert des noch bis 2050 zur Verfügung stehenden nationalen CO2-Budgets. Bei Ländern, die dieses schon ausgeschöpft haben, ergeben sich daraus die von ihnen zu leistenden Kompensationszahlungen.
„Dabei berücksichtigen wir nur die Kompensation für die ‚Aneignung‘ der Atmosphäre“, sagt Hickel. „Die erweiterten Kosten für Klimaanpassungen, Klimaschäden und den Umbau der Wirtschaften kämen theoretisch noch dazu.“
Deutschlands Klimaschulden liegen bei 4.619 US-Dollar pro Kopf und Jahr
Das Ergebnis: Die Industrieländer schulden dem globalen Süden rund 170 Billionen US-Dollar an CO2-Kompensation. Weitere 22 Billionen US-Dollar Ausgleichszahlungen müssten die erdölfördernden Staaten wie Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinten Arabischen Emirate zahlen. Bis zum Jahr 2050 entspricht die Gesamtsumme dieser Kompensationsleistungen einer jährlichen Zahlung von rund 6,2 Billionen US-Dollar und acht Prozent des globalen Bruttoninlandsprodukts von 2018, wie die Forscher errechnet haben.
Die größten Kompensationszahlungen entfallen dabei auf die USA, die im Schnitt 7.236 US-Dollar pro Kopf in den Topf für den globalen Süden einzahlen müssten. Für Deutschland liegt die Summe bei 4.619 US-Dollar pro Kopf. Im Gegenzug hätte Indien aufgrund seiner großen Bevölkerung und historisch geringen Emissionen einen Anspruch auf 57 Billionen US-Dollar aus diesem Kompensations-Topf. Auf die Länder im subsaharischen Afrika entfallen zusammen rund 45 Billionen US-Dollar. Selbst China, das heute zu den größten CO2-Emittenten zählt, könnte theoretisch noch 15 Billionen US-Dollar an Ausgleichszahlungen geltend machen.
Auf ihrer Website zeigen die Forscher interaktive Grafiken und Ergebnisse für die einzelnen Länder.
Gezahlt wird wahrscheinlich trotzdem nicht
„Soziale Bewegungen und Vertreter des globalen Südens argumentieren schon seit langem, dass Staaten mit exzessiven Emissionen Kompensation oder Reparationen für klimabedingte Schäden leisten müssen“, sagt Hickel. „Wenn wir alle Länder zu einer schnellen Dekarbonisierung drängen, dann ist es eine Frage der Klimagerechtigkeit, die unfaire Last der nicht für die Klimakrise verantwortlichen Länder zu kompensieren.“
Doch so einleuchtend und nachvollziehbar diese Argumente und Zahlen sind – ob sie an der politischen und finanziellen Situation etwas ändern, ist mehr als fraglich. Das sieht auch der nicht an der Studie beteiligte J. Timmons Roberts vom Institute at Brown for Environment and Society in den USA so: „Die Schätzungen von Fanning und Hickel sind unbequem und werden vermutlich nie von irgendjemandem an Machtpositionen der Schuldnerländer anerkannt werden“, schreibt er in einem begleitenden Kommentar.
Dennoch hält auch Roberts es für wichtig, zumindest die Größenordnungen der Klimaschuld einmal klar aufzuzeigen. „Die Ergebnisse zeigen, dass künftige Kompensationszahlungen oder Fonds – ob nun freiwillig oder verpflichtend – eher mager aussehen werden im Vergleich zu dem, was wir in Wirklichkeit schulden.“ (Nature Sustainability, 2023; doi: 10.1038/s41893-023-01130-8)
Quelle: Nature Sustainability, University of Leeds