Überraschende Entdeckung: In Costa Rica haben Biologen den ersten Fall einer Jungfernzeugung bei einem Krokodil dokumentiert. Ein weibliches Spitzkrokodil legte Eier, ohne sich jemals mit einem Männchen gepaart zu haben. In einem dieser Eier entwickelte sich ein Jungkrokodil. Damit ist dies der erste Beleg für eine Parthenogenese in diesem Zweig des Reptilienstammbaums. Die grundlegende Fähigkeit zur Jungfernzeugung könnte demnach schon bei den gemeinsamen Vorfahren aller Reptilien und Vögel bestanden haben.
Von einer Parthenogenese spricht man, wenn ein Tier Nachwuchs produziert, ohne dass zuvor eine Paarung und damit eine sexuelle Fortpflanzung stattgefunden hat. Während eine Jungfernzeugung bei wirbellosen Tieren wie Rädertierchen, Krebsen oder Insekten häufiger vorkommt, galt sie bei Wirbeltieren als seltene Ausnahme. Inzwischen haben Biologen die Parthenogenese jedoch schon bei mehreren Wirbeltierarten beobachtet, darunter Schlangen, Eidechsen, einigen Vögeln sowie Knorpelfischen wie Haien, Sägefischen und Rochen.
Jungfräuliche Krokodildame legt Eier
Jetzt gibt es einen neuen, ungewöhnlichen Fall der Parthenogenese bei einem Wirbeltier. Er ereignete sich bei einem 18-jährigen Weibchen des Spitzkrokodils (Crocodylus acutus), das in einem Reptilpark in Costa Rica gehalten wird. „Dieses Krokodil kam im Alter von zwei Jahren in den Park und wurde ihr gesamtes bisheriges Leben von anderen Krokodilen getrennt gehalten“, berichten Warren Booth vom Virginia Polytechnic Institute und seine Kollegen. Eine Chance zur Paarung hatte die Krokodildame demnach nicht.
Entsprechend groß war die Überraschung, als Tierpfleger am 17. Januar 2018 ein Nest mit 14 Eiern im Gehege des Krokodilweibchens entdeckten. Sieben dieser Eier schienen fruchtbar und wurden daher in einem Brutkasten gebracht und drei Monate lang ausgebrütet. Sechs dieser Eier hatten sich nicht weiterentwickelt, im letzten fanden die Biologen jedoch ein Jungtier. Zwar war dieses weibliche Jungkrokodil wegen einer Fehlbildung nicht lebensfähig, aber vollständig entwickelt.
Jungtier ist ein Klon seiner Mutter
Um sicherzugehen, dass die Krokodildame nicht doch irgendwie Kontakt mit einem Männchen hatte, führten die Forschenden eine DNA-Analyse durch. Diese bestätigte: Das Jungtier ist zu mehr als 99 Prozent genetisch identisch mit der Mutter, Gene eines zweiten Elternteils fehlten dagegen. Es muss sich demnach um eine echte Jungfernzeugung handeln. „Damit liefern unsere Ergebnisse einen ersten und substanziellen Beleg für die Parthenogenese bei einem rezenten Archosaurier, dem Spitzkrokodil“, konstatieren Booth und sein Team.
Diese Entdeckung wirft ein neues Licht auf die möglichen Wurzeln dieser Fortpflanzungsart bei höheren Wirbeltieren. Denn es ist der erste Beweis dafür, dass die Parthenogenese auch im zweiten großen Stammbaumzweig der Archosaurier vorkommt, zu denen einerseits die Krokodile und andererseits die Flugsaurier, Dinosaurier und ihre heutigen Nachfahren, die Vögel, gehören. Das legt nahe, dass die grundsätzliche Fähigkeit zur Jungfernzeugung auch schon bei den gemeinsamen Vorfahren der Archosaurier existierte, so die Biologen.
Tiefe Wurzeln im Stammbaum der Wirbeltiere
Darüber hinaus belegt der Fall auch, dass diese Fähigkeit selbst in evolutionär weit voneinander entfernten Stammeslinien der Reptilien auftritt. Denn die Vorfahren der Schlangen und Eidechsen haben sich schon vor rund 267 bis 312 Millionen Jahren von der Linie der Archosaurier abgespalten, wie Booth und sein Team erklären. Damit könnte die Parthenogenese sogar noch weiter in die Evolution der Wirbeltiere zurückreichen. „Die Daten stützten einen parthenogenetischen Mechanismus, der bei Reptilien, Vögeln und Knochenfischen einen gemeinsamen Ursprung hat“, so die Forschenden.
Interessant auch: Anders als bei vielen anderen Wirbeltieren wird das Geschlecht bei den Krokodilen nicht genetisch durch Geschlechtschromosomen festgelegt. Stattdessen wird das Geschlecht der Jungkrokodile durch die Temperatur während ihrer Embryonalentwicklung bestimmt. Die Parthenogenese bei dem Spitzkrokodil demonstriert nun erstmals, dass auch Tierarten mit dieser Form der Geschlechtsdeterminierung zur Jungfernzeugung fähig sind. (Royal Society Biology Letters, 2023; doi: 10.1098/rsbl.2023.0129)
Quelle: Biology Letters