Geowissen

Als die Tageslänge einfror

Im Präkambrium stagnierte die Tageslänge eine Milliarde Jahre lang bei 19 Stunden

Rotierende Erde
Die Erdrotation verändert sich stetig und mit ihr die Tageslänge. Doch im Erdaltertum gab es eine Phase, in der die Tageslänge eine Milliarde Jahre lang gleich blieb.© emarto/ Getty images

Pause im lunaren Bremseffekt: Die irdische Tageslänge nimmt seit Jahrmilliarden stetig zu – so jedenfalls dachte man. Doch das stimmt nicht: Im Präkambrium stagnierte die Tageslänge eine Milliarde Jahre lang bei 19 Stunden, wie nun eine Studie in „Nature Geoscience“ enthüllt. In dieser Zeit wurden die bremsenden Gezeitenkräfte des Mondes durch einen zweiten Faktor ausgeglichen: die solaren „Gezeiten“ der urzeitlichen Erdatmosphäre. Die lange Tageslängen-Stagnation könnte auch die Evolution des Lebens nachhaltig beeinflusst haben.

Heute hat unser Tag 24 Stunden, doch war nicht immer so: Noch zur Zeit der Dinosaurier vor rund 70 Millionen Jahren drehte sich die Erde schneller und die Tage waren rund 30 Minuten kürzer. Geht man weiter in die Vergangenheit zurück, verkürzen sich die Tageslängen noch mehr. Der Grund dafür ist die bremsende Wirkung der lunaren Gezeitenkräfte: Sie bremsen die Erdrotation aktuell um rund 2,3 Millisekunden pro Jahrhundert, gleichzeitig wächst der Abstand des Mondes zur Erde.

Zwei Gezeitenkräfte
Während die lunaren Gezeiten bremsend wirken, haben die von der Sonneinstrahlung verursachten thermischen Gezeiten der Erdatmosphäre eine beschleunigende Wirkung. © Kirscher und Mitchel/ Nature Geology, CC-by 4.0

Tauziehen zweier Gezeitenkräfte

„Die meisten Modelle zur Erdrotation gehen deshalb davon aus, dass die Tageslänge immer kürzer wird, je weiter man in die Vergangenheit zurückschaut“, sagt Uwe Kirscher von der Curtin University in Australien. Doch es gibt auch einige Theorien, nach denen dieser stetige Bremsprozess während des Präkambriums vorübergehend pausierte. Als eine mögliche Ursache wird ein den lunaren Gezeiten entgegenwirkender Effekt postuliert, die sogenannten thermischen Gezeiten der Atmosphäre.

Diese atmosphärischen Gezeiten kommen zustande, weil die Erdatmosphäre einen Teil der Sonneinstrahlung absorbiert und sich aufheizt. Dies verursacht eine regionale Ausdehnung, die wie eine Gezeitenwelle um den Globus läuft. Dabei schwingt die Atmosphäre im Takt von rund 10,4 Stunden und übt – anders als Ebbe und Flut – einen beschleunigenden Effekt auf die Erdrotation aus. Heute ist der thermische Gezeiteneffekt deutlich schwächer als der der Mondgezeiten, daher kommt er kaum zum Tragen.

Sedimentationszyklen verraten Erdrotation

Doch in der Frühzeit der Erdgeschichte war dies anders: Weil sich die Erde damals schneller drehte, war die Bremskraft der lunaren Gezeitenreibung geringer: „Man geht davon aus, dass die lunare Bremswirkung im Präkambrium nur ein Viertel ihrer heutigen Wirkung hatte“, erklären Kirscher und sein Koautor Ross Mitchell von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. An einem bestimmten Punkt könnte es daher zu einem Resonanzeffekt gekommen sein, durch den sich die beiden opponierenden Gezeitenkräfte gegenseitig aufhoben.

Ob dies der Fall war und wann, haben nun Kirscher und Mitchell mithilfe geologischer Indizien überprüft. Dafür analysierten sie subtile Schwankungen in der Sedimentablagerung von gut 20 verschiedenen Gesteinsformationen aus der Zeit vor 2,6 bis 0,55 Milliarden Jahren. Diese sogenannte Cyclostratigrafie spiegelt den Einfluss der Präzession und Obliquität der Erde wider – und damit Veränderungen der Erdachse, die direkt mit der Erdrotation verknüpft sind.

„Eine in der Vergangenheit schnellere Erdrotation kann daher an den kürzeren Zyklen von Präzession und Obliquität abgelesen werden“, erklärt Kirscher. Daraus wiederum lässt sich die Tageslänge für lange zurückliegende Zeitalter ermitteln – genau dies haben die Forscher gemacht.

Entwicklung der Tageslänge
Veränderungen der Tageslänge in den letzten rund 2,6 Milliarden Jahren. © Kirscher und Mitchel/ Nature Geology, CC-by 4.0

Pattsituation über eine Milliarde Jahre

Das überraschende Ergebnis: „Unsere statistischen Analysen ergaben, dass die Tageslänge im mittleren Proterozoikum, der Zeit vor gut zwei bis gut einer Milliarden Jahren, weitgehend stagnierte“, berichten die Forscher. Weil sich lunare und solare Gezeiteneffekte gegenseitig aufhoben, blieben die Tage über die gesamte, rund eine Milliarde Jahre dauernde Zeit gleichlang – die Tageslänge lag damals stabil bei rund 19 Stunden.

Nach Ansicht von Kirscher und Mitchell war der Beginn dieser präkambrischen Stagnation möglicherweise kein Zufall: Neben der Geometrie des Erde-Mond-Systems könnte auch die Entwicklung der Erdatmosphäre dieses Patt von lunaren und solaren Gezeitenkräften ermöglicht haben. Denn kurz vor Beginn der Tageslängen-Stagnation erlebte die Erdatmosphäre den ersten großen Sauerstoffschub – das Great Oxidation Event vor rund 2,4 Milliarden Jahren. Dabei entstand auch die Ozonschicht und dies könnte den thermischen Gezeiteneffekt der Sonneneinstrahlung verstärkt und beschleunigt haben, wie das Team erklärt.

War die Stagnation schuld an der „Boring Billion“?

Interessant auch: Die lange Stagnation der Tageslänge könnte sogar die Evolution des irdischen Lebens beeinflusst haben. „Diese Zeit korrespondiert eng mit einer Phase stagnierender biologischer Evolution sowie einer geochemischen und tektonische Ruhephase“, erklären Kirscher und Mitchell. „Diese Zeit ist daher auch als die ‚Boring Billion‘ bekannt.“ Zu deutsch: die langweilige Milliarde.

Die Forscher halten es für durchaus denkbar, dass die Stagnation auch den Aufstieg komplexer Lebensformen und die weitere Oxygenierung der Atmosphäre verzögerte. Erst, als dann vor rund einer Milliarde Jahren die Gezeiten-Resonanz gebrochen wurde und die Tage deutlich länger wurden, nahm dann auch die Evolution wieder Fahrt auf. Die Ursachen und Folgen der Tageslängen-Pause sind bisher allerdings Spekulation. Wie und ob sich diese lange Zeit der stabilen 19-Stunden-Tage tatsächlich auf die Lebenswelt auswirkte, ist offen. (Nature Geoscience, 2023; doi: 10.1038/s41561-023-01202-6)

Quelle: Nature Geoscience, Chinese Academy of Sciences Headquarters

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