Folgenschweres Alleinsein: Soziale Isolation macht unser Gehirn älter und weniger leistungsfähig, wie Forschende nun herausgefunden haben. Demnach nimmt bei über 50-Jährigen mit wenigen sozialen Kontakten die graue Hirnsubstanz stärker ab als bei sozial eingebundenen Personen. Dadurch steigt ihr Demenzrisiko und ihr Gedächtnis verschlechtert sich. Umgekehrt betrachtet könnten enge soziale Kontakte wiederum dabei helfen, die Gesundheit des Gehirns bis ins hohe Alter zu erhalten.
Wir Menschen sind soziale Wesen. Deshalb tut uns Einsamkeit langfristig nicht gut: Sie beeinflusst unsere Psyche, stört den Schlaf, verursacht Stress und schwächt unser Immunsystem. Hinzu kommt, dass Alleinsein auch unsere Hirnaktivität verändert und auf Dauer das Demenzrisiko erhöhen könnte – selbst wenn man sich subjektiv betrachtet vielleicht gar nicht so einsam fühlt.
Sechs Jahre Einsamkeit
Forschende um Laurenz Lammer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben nun untersucht, wie sich soziale Isolation auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns auswirkt. Dafür erfassten sie zunächst das Einsamkeitsniveau von rund 2.000 gesunden Teilnehmern im Alter von 50 bis 82 Jahren. In speziellen Fragebögen mussten diese unter anderem angeben, mit wie vielen Personen sie zusammenleben und ob sie arbeiten gehen und somit Kontakt zu Kollegen haben.
Außerdem ermittelten Lammer und seine Kollegen die kognitive Leistungsfähigkeit der Teilnehmer mit verschiedenen Tests und Hirnscans mit einem hochauflösenden Magnetresonanztomografen (MRT). Auf diese Weise konnten die Forschenden feststellen, wie es um Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Gehirnstruktur der Probanden steht. Sechs Jahre später fanden die Tests erneut statt, sodass Lammers Team ermitteln konnte, ob und wie sich soziale Isolation und Einsamkeit langfristig auf die Gehirnfunktionen der Teilnehmer ausgewirkt hatten.
Einsame Gehirne altern schneller
Das Ergebnis: Denjenigen, die bereits zu Beginn der Studie objektiv einsam gewesen waren, konnte man das nach sechs Jahren deutlich an ihrem Gehirn ansehen, wie Lammer und seine Kollegen berichten. Demnach hatte ihre graue Substanz in verschiedenen Hirnregionen verhältnismäßig stark abgenommen. Davon betroffen war unter anderem der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus. Sein Volumen war im Schnitt von 3.671 auf 3.487 Kubikmillimeter geschrumpft. Auch die Großhirnrinde, der Cortex, hatte sich in einigen Bereichen ausgedünnt.
Aus diesen strukturellen Veränderungen schließen die Forschenden, dass die Hirne der einsamen Personen deutlich schneller gealtert waren als die von sozial eingebundenen. Konkret heißt das: „Der Unterschied zwischen einem oder drei bis vier engen Freunden ist vergleichbar mit dem Unterschied von einem Jahr bei der Alterung des Hippocampus“, so das Forschungsteam.
Soziale Kontakte schützen vor Demenz
Das Schrumpfen des Hippocampus und bestimmter kortikaler Regionen gilt auch als ein Frühwarnzeichen für Demenz. Lammer und seine Kollegen sehen soziale Isolation daher als Risikofaktor für Krankheiten wie Alzheimer oder andere kognitive Beeinträchtigungen bestätigt. Dass sich Alleinsam negativ auf kognitive Funktionen auswirkt, konnten die Forschenden auch an den veränderten Testergebnissen der einsamen Personen erkennen. Bei ihnen hatten sowohl Gedächtnis und Aufmerksamkeit als auch Verarbeitungsgeschwindigkeit nach sechs Jahren messbar nachgelassen.
Doch die Erkenntnisse des Teams lassen sich auch umgekehrt auslegen: „Soziale Kontakte schützen vor schädlichen Prozessen und erhalten dadurch die Gehirnstruktur und -funktion“, betonen die Wissenschaftler. Ein stabiles soziales Netz könnte demnach dabei helfen, die Gesundheit des Gehirns bis ins hohe Alter zu erhalten. (eLife, 2023; doi: 10.7554/eLife.83660)
Quelle: Universität Leipzig, eLife