Schützende Genmutation: Forschende haben herausgefunden, warum die Coronavirus-Infektion bei vielen Menschen symptomfrei blieb. Demnach tragen diese Menschen oft eine Genmutation in ihrem Immun-Genkomplex HLA, die eine asymptomatische Infektion achtmal wahrscheinlicher machte. Der Grund: Die Mutation befähigt die T-Zellen des Immunsystems dazu, das SARS-CoV-2-Virus anhand von Übereinstimmungen mit Erkältungs-Coronaviren zu erkennen – ohne diese Genvariante ist dies hingegen nur selten der Fall.
Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass längst nicht alle mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Menschen an Covid-19 erkranken. Rund 20 Prozent der Infizierten bleiben komplett asymptomatisch und bekommen nicht einmal Schnupfensymptome. Aber warum? Ein Teil dieser Fälle wurde auf das junge Alter der Betroffenen zurückgeführt, bei anderen vermuteten Wissenschaftler, dass ihnen frühere Infektionen mit Erkältungs-Coronaviren eine Kreuzimmunität verleihen könnten.
Allerdings erklärt dies nicht, warum dann nicht alle Menschen asymptomatisch bleiben, die schon mit Erkältungs-Coronaviren in Kontakt gekommen sind – immerhin geht rund ein Drittel aller Erkältungen auf die vier Coronaviren hCoV-229E, hCoV-NL63, hCoV-HKU1 und hCoV-OC43 zurück. Im Schnitt steckt sich jeder Erwachsenen alle zwei bis drei Jahre mit einem dieser Coronaviren an.
Immungen-Komplex im Visier
Jetzt könnten Forschende um Danillo Augusto von der University of California in San Francisco die Erklärung dafür gefunden haben. Für ihre Studie hatten sie gezielt nach genetischen Faktoren gesucht, die die geringere Anfälligkeit der asymptomatisch Infizierten bedingen könnten. Im Fokus stand dabei das humane Leukozyten Antigen (HLA), ein Genkomplex, der eine zentrale Funktion in unserem Immunsystem übernimmt.
„Variationen in HLA sind mit hunderten von Krankheiten verknüpft, darunter auch Infektionen“, erklärt das Team. Die Gene des HLA-Komplexes regeln unter anderem den Nachbau der Proteine, die eingedrungene Erreger kennzeichnen. Gedächtniszellen präsentieren diese Antigene dann m den T-Killerzellen, die ausschwärmen und die entsprechenden Viren und infizierten Zellen erkennen und abtöten. Augusto und sein Team haben deshalb bei 1.428 Testpersonen mit einer Corona-Infektion, darunter 136 asymptomatisch, untersucht, ob diese Mutationen in einigen wichtigen Genorten des HLA-Genkomplexes tragen.
Genvariante mit Schutzwirkung
Die genetischen Vergleichsanalysen zeigten tatsächlich eine Auffälligkeit: Bei Teilnehmenden, die ihre Corona-Infektion symptomfrei überstanden hatten, trat eine HLA-Genvariante besonders häufig auf: „Einer von fünf dieser asymptomatischen Patienten trug die Genvariante HLA-B*15:01, bei Patienten mit Covid-Symptomen waren es dagegen nur neun Prozent“, berichten die Forschenden. Noch deutlicher wurde der Effekt bei Menschen, die diese Genvariante auf beiden Allelen dieses Genorts trugen:
„Menschen, die zwei Kopien von HLA-B*15:01 besitzen, bleiben achtmal häufiger asymptomatisch als Menschen mit anderen Genvarianten“, berichten Augusto und seine Kollegen. Dieser Zusammenhang bestätigte sich auch, als die Forschenden die Infektionsreaktion und die Genvariante in zwei weiteren Gruppen von Testpersonen überprüften. Auch dort zeigte sich, dass bis zu 25 Prozent der asymptomatisch Infizierten die offenbar schützende Genvariante HLA-B*15:01 trugen.
Vorwarnung für die T-Zellen
Doch warum bewahrt diese HLA-Genvariante vor Covid-19-Symptomen? Auch das haben Augusto und sein Team herausgefunden. Demnach bewirkt HLA-B*15:01, dass Abwehrzellen verstärkt ein bestimmtes Coronavirus- Protein als Erkennungsmerkmal produzierten und präsentierten: NQKLIANQF, kurz NQK-Q8. In Tests mit dem Blut von noch nie infizierten Trägern der Genvariante zeigte sich, dass die T-Zellen von 75 Prozent dieser Personen dieses Protein trugen – obwohl ihr Immunsystem SARS-CoV-2 nie zuvor begegnet war.
Die Erklärung dafür: NQK-Q8 gehört zu den Virenproteinen, die auch den Erkältungs-Coronaviren in fast unveränderter Form vorkommen. Die HLA-B*15:01-Genvariante befähigt die Immunzellen und vor allem die Gedächtniszellen ihrer Träger offenbar dazu, dieses Virenprotein zu erkennen und sich als Antigen zu merken. „Wenn man dann eine Abwehrzellen-Armee hat, die den neuen Feind früh erkennen kann, dass ist das ein enormer Vorteil“, erklärt Seniorautorin Jill Hollenbach von der University of California in San Francisco.
Erklärung für Kreuzimmunität
Damit erklären diese Ergebnisse, warum manche Menschen die Coronavirus-Infektion symptomfrei überstanden haben: Ihr Immunsystem konnte dank der HLA-B*15:01-Genvariante und einer früheren Erkältung das Coronavirus SARS-CoV-2 sofort erkennen – und entsprechend wirkungsvoll bekämpfen. „Unsere Ergebnisse unterstreichen damit die Bedeutung einer vorab bestehenden Immunität, durch die ein Gedächtnis-Pool aus kreuzreaktiven T-Zellen bereitststeht, um die Infektion zu bekämpfen“, schreibt das Team.
Gleichzeitig liefern die neuen Erkenntnisse auch die genetische Basis für frühere Studien, die bereits Hinweise auf eine Kreuzimmunität mit Erkältungs-Coronaviren gefunden hatten – und erklären auch, warum diese nicht bei allen Tests gefunden wurde.
„Unsere Ergebnisse haben zudem Bedeutung für das Verständnis der frühen Infektionsstadien und den Mechanismus, der hinter der schnellen Beseitigung der Viren steckt“, so Augusto und seine Kollegen. „Damit könnte dies die Grundlage für eine bessere Impfstoffentwicklung und neue Therapieoptionen legen.“ (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06331-x)
Quelle: University of California – San Francisco