Lange Beine und ein aufrechter Rumpf: Unsere menschliche Körperform ist einzigartig und unterscheidet uns klar von unseren nächsten Verwandten. Welche Gene für den Wandel vom gedrungenen, primär vierbeinig laufenden Affen zum zweibeinig aufrecht gehenden Menschen stecken, haben Forschende nun herausgefunden. Demnach steuern 145 Genorte unsere typisch menschlichen Körperproportionen und machen uns damit auch äußerlich zum Menschen, wie das Team in „Science“ berichtet.
Der von Leonardo da Vinci gezeichnete „Vitruvianische Mensch“ demonstriert die typischen Proportionen unseres menschlichen Körpers: Anders als unsere nächsten Verwandten unter den Menschenaffen sind unsere Beine länger als unsere Arme, der Rumpf ist schmal und steht aufrecht über Becken und Beinen. Diese Anatomie ermöglicht es uns, balanciert und effizient zweibeinig zu laufen. Fossilien von Urzeit-Menschenaffen und frühen Vormenschen legen nahe, dass sich die typisch menschliche Körperform allmählich herausbildete.
Wo liegt der genetische Bauplan unseres Skeletts?
Doch welche Gene für unsere Körperproportionen verantwortlich sind, war lange ungeklärt – bis jetzt. Ein Team um Eucharist Kun von der University of Texas in Austin hat erstmals die Gene und Genorte kartiert, denen wir unsere Skelettform verdanken. Für ihre Studie nutzten die Forschenden eine künstliche Intelligenz, um von gut 31.000 Ganzkörper-Röntgenaufnahmen 23 charakteristische Maße des menschlichen Körpers zu ermitteln – darunter die Länge der Ober- und Unterarme, die Breite der Hüften und Schultern oder die Beinlänge.
Anschließend nutzten sie die Genomsequenzen dieser geröntgten Testpersonen, um mithilfe eines sogenannten genomweiten Assoziationstests (GWAS) nach Genorten zu suchen, die mit bestimmten Proportionen in Zusammenhang stehen könnten. „Unsere Studie liefert damit eine Karte, die spezifische Gene mit der Länge verschiedener Teile unseres Skeletts verknüpft“, erklärt Koautor Tarjinder Sing vom New York Genome Center.
145 Genorte prägen unseren individuellen Körperbau
Die Vergleichsanalysen enthüllten: 145 Abschnitte in unserem Erbgut tragen entscheidend zu unseren Körperproportionen bei. Diese über fast alle Chromosomen verteilten Genorte steuern die Länge der Arm- und Beinknochen, der Hüft- und Schulterbreite und weitere Skelettmaße. Viele beeinflussen schon im Mutterleib das Längenwachstum bestimmter Körperteile. „Diese Genorte sind mit Genen angereichert, die die Skelettentwicklung regulieren, und auch solchen, die mit seltenen Erkrankungen und Fehlbildungen der Knochen verknüpft sind“, berichtet das Forschungsteam.
Interessant auch: Die Forschenden fanden klare Zusammenhänge zwischen den Körperproportionen, den Genvarianten und dem Risiko für bestimmte Zivilisationsleiden. So sind Menschen mit im Verhältnis längeren Oberschenkelknochen anfälliger für Kniearthrose und andere Knieprobleme, Menschen mit langem Rumpf leiden häufiger unter Rückenschmerzen. „Die Skelettproportionen beeinflussen alles – von unserm Gang bis zur Art, wie wir sitzen. Es ist daher nur folgerichtig, dass sie auch Risikofaktoren für diese Leiden sind“, sagt Kun.
Genetische Treiber der menschlichen Evolution
Die Genomstudie bestätigte auch, dass viele der 145 neu identifizierten Genorte genau für die Unterschiede verantwortlich sind, die unsere Anatomie von der der Menschenaffen abgrenzt. „Wir haben genetische Belege für die evolutionären Veränderungen im Arm-Bein-Verhältnis und der Hüftbreite gefunden, die sich in den Homininenfossilien zeigen“, so Kun und seine Kollegen. „Diese Daten passen zu einigen der auffallendsten morphologische Unterschiede zwischen Menschen und Menschenaffen und auch zu denen, die den Übergang vom Knöchelgang zum aufrechten, zweibeinigen Laufen ermöglichten.“
Viele der 145 menschentypischen Skelettgene, darunter vor allem die für die Arm- und Beinlänge, liegen in der Nähe sogenannter HARs oder HAQERs – Genen, die sich nach der Abtrennung unserer Vorfahren von der Stammeslinie der Menschenaffen besonders schnell weiterentwickelt und verändert haben. „Damit sehen wir hier den ersten genetischen Beleg dafür, dass es damals einen Selektionsdruck auf Genvarianten gab, die einige der fundamentalsten anatomischen Veränderungen in der menschlichen Evolution prägten – die Veränderungen, die uns Menschen die Fähigkeit zum aufrechten Gehen verliehen“, erklären die Forschenden. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adf8009)
Quelle: University of Texas at Austin