Für den Ernstfall: Das Wiederhochfahren des Stromnetzes nach einem großflächigen Stromausfall ist diffizil. Wie gut dies mit dezentralen Wind- und Solaranlagen geht, haben Forscher jetzt in Feldtests und Simulationen ausprobiert. Das Ergebnis: Es kann funktionieren, wenn Windparks und Photovoltaikanlagen im Blackout-Fall zentral ferngesteuert werden und wenn sie über spezielle Störfall-Modi verfügen. Dafür ist allerdings noch einiges an technischer Aufrüstung nötig, denn bisher fehlt die Technik dafür meist.
Das Stromnetz ist nur dann stabil, wenn sich Spannung und Frequenz des Wechselstroms in einem eng definierten Rahmen bewegen. Kommt es zu größeren Abweichungen, kollabiert das sensible Gleichgewicht von Einspeisung und Entnahme und die Stromversorgung bricht zusammen. Um einen solchen Blackout zu verhindern, haben die Übertragungsnetzbetreiber – die für die überregionalen Hochspannungsnetze Verantwortlichen – verschiedene automatisierte Schutzmechanismen und Notfallprotokolle entwickelt.
Perfekte Balance beim Hochfahren entscheidend
Doch was ist nach einem Blackout? Ein Stromnetz nach einem großflächigen Ausfall wieder hochzufahren, erfordert ein komplexes Jonglieren mit Stromlieferanten und Stromabnehmern. Nach dem Ausfall speisen zunächst einige schwarzstartfähige Kraftwerke Strom ein und bilden erste funktionierende Inseln im Stromnetz. Schwarzstartfähig sind Anlagen wie Gas- oder Wasserkraftwerke, die schnell und unabhängig von externer Stromversorgung hochfahren und die selbständig die geforderte Spannung und Frequenz einstellen können.
Sobald dann der erste Strom fließt, steuern die Übertragungsnetzbetreiber das Zuschalten weiterer Stromerzeuger und Verbraucher. Kommt es dabei zu einer Dysbalance, gerät das Stromnetz wieder aus dem Sollbereich und kollabiert erneut. Entsprechend viel Erfahrung und zentrale Kontrollmöglichkeiten erfordert dieses Hochlaufen. Bisher liegt die Verantwortung dafür bei den Betreibern der überregionalen Hochspannungsnetze, weil die Großkraftwerke ihren Strom direkt in diese leistungsstärksten Netze einspeisen.
Kontrolle verlagert sich in die Verteilnetze
Mit der Energiewende ändert sich dies: Die Stromgewinnung wird dezentraler und basiert stärker auf vielen kleinen Windkraft- und Solaranlagen. Diese erzeugen zu wenig Strom, um direkt in die Hochspannungsnetze einzuspeisen, und sind daher an die Verteilernetze mit Mittel- und Niedrigspannung angeschlossen. „Diese Veränderungen der Erzeugungs- und Laststruktur auf der Verteilnetzebene erfordern neue Fähigkeiten der Verteilnetzbetreiber“, erklärt Jonathan Bergsträßer vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.
Im Falle eines Blackouts verlagert sich das diffizile Wiederhochfahren damit künftig auf die bisher wenig darauf vorbereiteten Verteilnetze, wie der Forscher erklärt. Selbst wenn Gas- und Wasserkraftwerke weiterhin den Schwarzstart übernehmen, hängt es vom balancierten Zuschalten der dezentralen Wind- und Solaranlagen ab, ob das Stromnetz wieder stabil wird oder nicht. „Uns Verteilnetzbetreibern kommt mit der Energiewende eine neue Rolle im Energiesystem zu – auch beim Wiederhochfahren nach einem großflächigen Stromausfall“, sagt Thomas Schmidt, Projektleiter beim Netzbetreiber Westnetz in Rheinland-Pfalz.
Ob und wie das funktionieren könnte, haben Bergsträßer und seine Kollegen nun in einem dreijährigen Projekt mit mehreren Feldtests und Simulationen untersucht.
Wichtigste Voraussetzung: die Fernsteuerung
Eines der ersten Ergebnisse: Ohne Möglichkeiten der zentralen Kontrolle geht es nicht. Das Wiederhochfahren funktioniert nur dann, wenn Windparks und Solaranlagen im Notfall von den Netzbetreibern gesteuert werden können. Dafür muss es entsprechende Internet- und Mobilfunkschnittstellen geben sowie die Option, voreingestellte Parameter zu überschreiben.
Für Windparks hat das Projektteam eine solche Schnittstelle bereits entwickelt und in ersten Windparks im Testgebiet installiert. „Im Gegensatz zu Anlagen mit heutigem Betriebsverhalten können Windparks mit Störfallregelung aktiv und konstruktiv in bestehende Netzwiederaufbaukonzepte integriert werden, wodurch sich neue Möglichkeiten ergeben und Ausfallzeiten reduzieren lassen“, erklären die Wissenschaftler.
Aus vielen Solaranlagen wird ein virtuelles Flächenkraftwerk
Für die zahlreicheren und kleineren Solaranlagen hat das Team das Konzept der Flächenkraftwerke entwickelt, mit dem Photovoltaikanlagen einer ganzen Region zusammengeschlossen und zentral gesteuert werden können. „Durch die zentrale Ansteuerung dieser Anlagen und der damit verbundenen Latenzzeit der Kommunikationskanäle können Leistungsreserven im Zeitbereich einiger Sekunden bis wenigen zehn Sekunden aktiviert werden“, erklärt das Projektteam. Erste Feldtests mit einem Solar-Flächenkraftwerk verliefen erfolgreich.
Eine weitere Voraussetzung sind möglichst präzise Vorhersagen dazu, wie viel Strom die Wind- und Solaranlagen unter den aktuell herrschenden Wetterbedingungen liefern können. „Im Projekt wurde eine Prognostik entwickelt, die stör- und schwarzfallrobust in jeder Netzsituation den Netzbetreiber mit aktuellen Daten versorgen kann“, berichtet Lukas Holicki, Projektleiter bei ENERCON. Dafür wurden Modellrechnungen mit Wetterdaten und anlagenspezifische Betriebsdaten kombiniert.
Feldtest mit Windpark erfolgreich
Ob das Ganze im Ernstfall funktionieren würde und wo es noch hapert, haben die Forschenden in Feldtests im Gebiet des Verteilnetzbetreibers Westnetz untersucht. Dabei wurde ein Windpark des Betreibers Alterric Deutschland mit 22 Windturbinen und 52 Megawatt Leistung zunächst mit den entsprechenden Kontrolltechnologien ausgerüstet, dann schnitt der Netzbetreiber die Stromzufuhr oberhalb des Einspeisepunkts ab – und simulierte so den Blackout.
Es funktionierte: Dank der neuinstallierten Fernsteuerungstechnik konnte der Netzbetreiber den Windpark so regeln, dass er genau die erforderliche Strommenge ins „ausgefallene“ Netz einspeiste. Schon fünf Minuten nach dem Blackout erreichten Spannung und Frequenz im Stromnetz wieder die Sollwerte, wie die Wissenschaftler berichten. Ähnlich erfolgreich verlief auch eine Simulation, bei der mehrere Windparks nach einem Netzausfall nacheinander so zugeschaltet werden mussten, dass das Stromnetz stabil bleibt.
Eine weitere Simulation demonstrierte jedoch auch, was im Ernstfall beim Zuschalten eines Windparks ohne entsprechenden Störfall-Modus passieren würde: Nachdem ein Gaskraftwerk den Schwarzstart übernommen hat, geht der Windpark ans Netz, produziert dabei aber nach seinen internen, leistungsoptimierten Vorgaben. Als Folge kann er nicht an die Anforderungen des noch labilen Stromnetzes angepasst werden und bringt das gesamte System nach etwa 15 Minuten erneut zum Kollaps.
Hochfahren machbar, aber nur mit technischer Nachrüstung
Nach Ansicht des Forschungsteams liefert ihr Projekt wichtige Erkenntnisse dazu, wie gut sich Blackouts im Stromnetz auch mit dezentralen Stromlieferanten wie Windparks und Solaranlagen meistern lassen. „Windparks und Solarkraftwerke können beim Hochfahren des Netzes einen aktiven Beitrag leisten“, sagt Becker. „Das ist technisch zwar anspruchsvoll, aber möglich, wie unsere Feldversuche eindeutig gezeigt haben.
Allerdings erfordert dies technische Lösungen, die bisher in den meisten Anlagen noch nicht installiert sind. Sowohl bei den Kommunikationsverbindungen zu den Netzbetreibern wie auch bei den Steuertechnik müsse daher nachgerüstet werden. Ähnliches könnte für dezentrale Stromverbraucher in den Niedrigspannungs- Verteilnetzen gelten. Denn auch Batteriespeicher, Wärmepumpen oder auch Flotten von Elektroautos können beim Wiederhochfahren wichtige Puffer darstellen.
„Das deutsche Stromnetz ist eines der zuverlässigsten der Welt. Dennoch ist die Resilienz von großer Bedeutung. Im Falle eines großflächigen Stromausfalls ist sehr entscheidend, dass wir schnell wieder zum Normalbetrieb zurückkehren“, erläutert Gesamtprojektleiter Holger Becker vom Fraunhofer IEE. (Abschlussbericht SysAnDUK-Projekt.)
Quelle: Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE