Meeresforschung

Meeresgrund speichert weniger Kohlenstoff als gedacht

Mikrobiell aktive Sedimentschicht blockiert Aufnahme von organischem Kohlenstoff

Meeresgrund
Im Sediment des Meeresgrundes landet wahrscheinlich deutlich weniger organischer Kohlenstoff als bislang angenommen. © Damocean/ Getty Images

Doch nicht so viel: Forschende haben herausgefunden, dass der Meeresgrund unter sauerstoffarmen Wasserbedingungen deutlich weniger organischen Kohlenstoff speichert als bislang angenommen. Grund dafür ist eine 0,5 Millimeter dicke, reaktive Sedimentschicht mit hoher Mikrobenaktivität, die schätzungsweise auf 15 Prozent des Meeresbodens in Küstengebieten vorkommt. Die Erkenntnisse lassen außerdem vermuten, dass der Abbau organischen Materials in urzeitlichen Ozeanen deutlich höher war als gedacht.

Die Ozeane und ihre Bodensedimente sind eine der bedeutendsten Kohlenstoffsenken der Welt. Bislang ging man auf Basis von Bohrkern-Auswertungen davon aus, dass die Aufnahmekapazität des Meeresbodens vom Sauerstoffanteil im Wasser abhängt. Bei sauerstoffreichem Wasser ist diese Kapazität gering, weil die im Sediment lebenden Mikroben organische Kohlenstoffverbindungen zersetzen und den Kohlenstoff mithilfe des reichlich vorhandenen Sauerstoffs in Kohlendioxid (CO2) umwandeln und freisetzen. Den Meeresgrund verlässt in diesem Fall mehr Kohlenstoff als hinzukommt.

Bei sauerstoffarmem Wasser hingegen kann in den Sedimenten viel Kohlenstoff gebunden werden. Denn der Sauerstoffmangel hemmt die Aktivität der Mikroorganismen und damit auch den Abbau von organischem Material. Der Zustrom an Kohlenstoff ist in diesem Fall stärker als der Verlust durch die CO2-Freisetzung.

Bohrkern versus benthische Kammer

Forschende um Sebastiaan van de Velde vom Royal Belgian Institute of Natural Sciences in Brüssel stellen diese Annahmen nun in Frage. Sie vermuten stattdessen, dass der Sauerstoffgehalt im Wasser keinen erheblichen Einfluss auf den Kohlenstoffgehalt des Meeresbodens hat. Ihnen zufolge könnte den Meeresgrund an einigen Stellen eine dünne, reaktive Schicht mit hoher Mikroben-Aktivität überziehen, die selbst bei sauerstoffarmen Bedingungen die Kohlenstoff-Aufnahme ins Sediment begrenzt.

Um diese Hypothese zu testen, haben van de Velde und seine Kollegen Daten an neun Messpunkten mit unterschiedlichem Sauerstoffgehalt gesammelt. An jedem dieser Messpunkte in den Gotlandbecken der Ostsee entnahmen sie zunächst einen bis zu 20 Zentimeter tiefen Bohrkern. Zusätzlich setzten die Forschenden sogenannte benthische Kammern ein. Diese sammeln Wasserproben am Meeresboden und können Aufschluss über den Stoffaustausch zwischen Wasser und Sedimentoberfläche geben.

Damit sich die Hypothese von van de Velde und seinem Team als korrekt herausstellt, müssten die benthischen Kammern selbst bei sauerstoffarmen Bedingungen eine niedrige Kohlenstoff-Aufnahme des Meeresgrundes zeigen. Man spricht auch von geringer Vergrabungseffizienz. Das würde dafür sprechen, dass eine aktive Mikrobenschicht fleißig Zellatmung betreibt und so trotz Sauerstoffmangel den Kohlenstoff-Zufluss begrenzt.

Winzige reaktive Oberflächenschicht

Und tatsächlich: „Bei der Schätzung auf der Basis von Bohrkernen erhalten wir für die Vergrabungseffizienz Werte zwischen fünf und 50 Prozent. Wenn wir jedoch die Schätzungen auf Basis der Kammern verwenden, liegen die Werte für die Vergrabungseffizienz wesentlich niedriger, in der Größenordnung von 0,5 bis 15 Prozent“, berichten van de Velde und seine Kollegen. Mit anderen Worten: Laut Bohrkernauswertung landen im Schnitt 8,4 Prozent des organischen Kohlenstoffs im Sediment, laut Kammermessungen nur 1,2 Prozent.

Das bedeute, dass die Rate der Zellatmung in der obersten Bodenschicht erheblich höher sein müsse als in tieferen Sedimentschichten, erklären die Forschenden. Und das wiederum legt die Existenz einer reaktiven Oberflächenschicht nahe. Van de Velde und sein Team vermuten, dass alle bisherigen bohrkernbasierten Messungen diese Schicht vernachlässigt und die Vergrabungseffizienz unter sauerstoffarmen Bedingungen daher überschätzt haben.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass rund 15 Prozent des Meeresbodens in Küstengebieten von einer gerade einmal 0,5 Millimeter dicken reaktiven Oberflächenschicht überzogen sein könnten. Global gesprochen könnte das bedeuten, dass der Meeresboden deutlich weniger organischen Kohlenstoff speichert als bislang gedacht.

Aktivität von Urzeit-Mikroben unterschätzt

Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich aber nicht nur auf heutige Meeresbedingungen anwenden, sondern auch auf die Meere der Urzeit, die in manchen Zeiten wie beispielsweise der Kreidezeit sauerstoffärmer waren als heute. Bislang ging die Forschung davon aus, dass die Meeresgrundmikroben aufgrund des Sauerstoffmangels damals 100- bis 1.000-mal weniger Zellatmung betrieben als heute, was wiederum dazu führte, dass sich viel organischer Kohlenstoff im Sediment ansammeln konnte.

Doch wenn Sauerstoff dafür doch nicht so eine wichtige Rolle spielt wie angenommen, muss auch diese Annahme revidiert werden. „Die Primärproduktionsraten in den vergangenen Ozeanen waren wahrscheinlich zehnmal höher als derzeit angenommen“, so Van de Velde und seine Kollegen. (Proceedings of the Royal Society A: Mathematical and Physical Sciences, 2023; doi: 10.1098/rspa.2023.0189)

Quelle: Proceedings of the Royal Society A: Mathematical and Physical Sciences

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