Schutzschild gegen Demenz: Das Gehirn sogenannter Super-Ager – geistig überdurchschnittlich fitter Senioren – ist offenbar besonders widerstandsfähig gegenüber altersbedingten Abbauprozessen, wie Forschende nun herausgefunden haben. Demnach nimmt ihre graue Substanz in gedächtnisrelevanten Regionen deutlich langsamer ab als bei „normalen“ Gleichaltrigen, wodurch sie geistig, aber auch körperlich fitter bleiben. Was ihr Gehirn allerdings so widerstandsfähig macht, ist noch unklar.
„Der ist aber fit für sein Alter“, bekommen sogenannte Super-Ager wahrscheinlich häufiger zu hören. Per Definition entspricht die Gedächtnisleistung dieser Senioren der von 30 Jahre jüngeren Menschen. Ein 80-jähriger Super-Ager ist geistig demnach noch so fit wie ein durchschnittlicher 50-Jähriger. Schon länger beschäftigt sich die Wissenschaft mit der Frage, woher Super-Ager diese „Superkräfte“ nehmen, ob sie zum Beispiel schlichtweg positiver mit dem Thema Altern umgehen oder ob sich sogar ihr komplettes Gehirn von „normalen“ Gleichaltrigen unterscheidet.
Super-Ager versus Normal-Ager
Forschende um Marta Garo-Pascual von der Polytechnischen Universität Madrid haben das Geheimnis der Super-Ager nun zumindest teilweise gelüftet. Um herauszufinden, welche Faktoren eine hohe geistige Fitness im Alter bedingen, ließen sie 64 Super-Ager und 55 Senioren mit alterstypischer Gedächtnisfunktion über fünf Jahre hinweg verschiedene Tests und Untersuchungen durchlaufen. Zu Beginn der Testreihe waren die Personen in beiden Gruppen mindestens 79 Jahre alt.
Unter anderem führten Garo-Pascual und ihre Kollegen bei ihnen jedes Jahr eine Magnetresonanztomografie (MRT) durch und ermittelten das Volumen ihrer grauen Substanz in verschiedenen Hirnbereichen. Außerdem werteten sie eine Vielzahl von Daten zu den Lebensumständen der Senioren aus und versuchten so, Eigenschaften oder Einstellungen zu finden, die typisch für Super-Ager sind.
Musik und Sport als Schlüssel?
Dabei zeigte sich, dass die Super-Ager offenbar einige Gemeinsamkeiten hatten. Zum Beispiel waren sie im Schnitt formell höher gebildet als die Vergleichsgruppe und hatten außerdem häufiger einen musikalischen Hintergrund, konnten also zum Beispiel ein Instrument spielen. Außerdem beklagten sie sich seltener über zu wenig Schlaf sowie über mentale Probleme und führten ein aktiveres, unabhängigeres Leben. Auch Störungen des Glukosehaushalts und Bluthochdruck kamen bei den Super-Agern seltener vor.
Obwohl all diese Faktoren theoretisch einen Einfluss auf Gesundheit und geistige Fitness haben können, stellt sich trotzdem die Frage, ob sie allein die untypischen geistigen Leistungen eines Super-Agers erklären können. Garo-Pascual und ihr Team haben sich deswegen eher auf eine andere mögliche Ursache konzentriert und diese liegt in der Gehirnstruktur der Super-Ager.
Graue Substanz nimmt langsamer ab
Die MRT-Scans offenbaren, dass bei den Super-Agern die graue Substanz in Schlüsselbereichen des Gehirns im Laufe der Zeit deutlich langsamer abgenommen hatte als bei der Vergleichsgruppe. Nach Ablauf der fünf Jahre war ihnen unter anderem im Hippocampus und in der Amygdala mehr graue Substanz geblieben als den „normalen“ Senioren, was ihre überdurchschnittlichen Gedächtnisleistungen erklären könnte. Interessanterweise hatten beide Gruppen allerdings gleich viele Demenz-Biomarker im Blut. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Super-Ager zwar auch anfällig für Demenz sind, sich diese aber bei ihnen nicht manifestieren kann.
„Wir schließen daraus, dass es nicht einfach bessere Bewältigungsmechanismen sind, die Super-Ager vor altersbedingtem Gedächtnisverlust bewahren, sondern dass sie widerstandsfähiger gegen altersbedingte Veränderungen der Hirnstruktur sind“, erklärt Garo-Pascuals Kollege Christian Gaser. Super-Ager gehen also nicht einfach entspannter und positiver mit dem Thema Altern um und sind deswegen fitter, sondern haben eine Art Schutzschild in ihrem Gehirn, der sie vor einigen negativen Folgen des Altwerdens wie dem geistigen Abbau bewahrt.
Aktiver Lebensstil lohnt sich in jedem Fall
Wieso dieser Schutzschild bei Super-Agern aktiv wird und welcher Mechanismus dahintersteckt, ist jedoch noch unklar. Es bleibt also offen, ob man als Super-Ager zur Welt kommt oder sich durch bestimmte Lebensumstände zu einem entwickelt. So oder so rät Gaser dazu, lebenslanges Lernen, soziale Aktivitäten, einen aktiven Lebensstil und die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit im täglichen Leben nie zu vernachlässigen.
„Ein aktiverer Lebensstil in der Lebensmitte und Aktivitäten wie das Spielen eines Instruments sowie die Aufrechterhaltung der Beweglichkeit und Kontrolle des Bluthochdrucks und des Blutzuckerspiegels könnten dazu beitragen, ein gesundes Gedächtnis im Alter zu erhalten“, so Gaser. (Lancet Healthy Longevity, 2023; doi: 10.1016/S2666-7568(23)00079-X)
Quelle: Universitätsklinikum Jena