Archäologie

Aussehen einer Ur-Europäerin rekonstruiert

45.000 Jahre altes Schädelfossil der "Frau von Zlaty kun" bekommt erstmals ein Gesicht

REkonstuktion der Frau von Zlaty kun
So könnte die vor 45.000 Jahren lebende "Frau von Zlaty kun" ausgesehen haben – eine der ältesten Vertreterinnen des Homo sapiens in Europa. © Moraes et al./ Studies in Multidisciplinary Review, CC-by 4.0

Antlitz einer Pionierin: Wissenschaftler haben einer der ältesten Ur-Europäerinnen erstmals ein Gesicht verliehen – der 45.000 Jahre alten „Frau von Zlaty kun“. Sie nutzten digitale Verfahren der Gesichtsrekonstruktion, um anhand der fossilen Schädelfragmente das Aussehen dieser frühen Vertreterin des Homo sapiens in Europa zu rekonstruieren. Dabei zeigte sich, dass sie starke Kiefer und fast männliche Gesichtszüge besaß. Ihre Schädelgröße und Kiefermaße ähnelten zudem denen des Neandertalers. Dazu passt, dass ihre DNA mehr Neandertaler-Anteile enthielt als die heutiger Europäer.

Vor rund 45.000 Jahren kamen die ersten Vertreter des Homo sapiens nach Europa, wie unter anderem Fossilfunde in der bulgarischen Bacho-Kiro-Höhle und der in einer tschechischen Höhle entdeckte Schädel von Zlaty kun belegen. Seine Fragmente waren schon in den 1950er Jahren entdeckt worden, aber erst 2021 belegten DNA-Analysen und neue Datierungen, dass auch dieses Menschenfossil schon rund 45.000 Jahre alt ist. Sie enthüllten zudem, dass dieser Schädel von einer Frau stammte.

Fundorte von frühen Menschenfossilien
Funde früher Homo-sapiens-Fossilien in Europa und Schädel von Zlaty kun. © Prüfer et al./ Nature Ecology & Evolution, 2021, CC-by 4.0

Die Frau von Zlaty kun ist damit eine der ältesten bekannten Europäerinnen und das älteste europäische Homo-sapiens-Fossil, von dem ein Schädel erhalten ist. Die Analysen ihrer DNA belegen aber auch, dass sich ihre Stammeslinie und auch die der frühen Menschen aus der Bacho-Kiro-Höhle in Europa nicht halten konnte: Im Erbgut moderner Europäer und Asiaten finden sich keine Spuren dieser frühen Homo-sapiens-Vertreter.

Forensische Rekonstruktion

Doch wie sah diese Ur-Europäerin aus? Das hat nun ein Team von Anthropologen um Francesco Maria Galassi von der australischen Flinders University gemeinsam mit dem brasilianischen 3D-Designer Cicero Moraes versucht herauszufinden. Für ihre Rekonstruktion nutzten sie digitale Scans der neun fossilen Schädelfragmente, außerdem Daten eines digitalen Modells, in dem ein Forschungsteams im Jahr 2018 die fehlenden Knochenteile auf Basis anatomischer und statischer Methoden ergänzt hatte.

Um dem digitalen Schädel ein Gesicht zu geben, nutzten die Forschenden die digitalen 3D-Modelle mehrerer moderner Menschen und passten deren Schädelmerkmale durch gezielte Deformation an die Maße der „Frau von Zlaty kun“ an. Dadurch konnten sie die Dicke von Muskeln, Bindegewebe und Haut in etwa rekonstruieren.

Fra von Zlaty kun
Neutrale Rekonstruktion der Ur-Europäerin aus Zlaty kun. © Moraes et al./ Studies in Multidisciplinary Review, CC-by 4.0

So könnte die Frau von Zlaty kun ausgesehen haben

Das Ergebnis ist ein digitales 3D-Modell, das die Gesichtszüge und das Aussehen der vor 45.000 Jahren lebenden Ur-Europäerin zeigt. Weil Fossil und DNA keine Hinweise auf äußerliche Merkmale wie Haut-, Haar- und Augenfarbe lieferten, erstellte das Team zunächst eine neutrale Version: „Dafür wurden nur objektive Merkmale dargestellt, die Augen sind geschlossen, die Büste hat keine Haare und ist in Grautönen gehalten“, erklären Moraes und seine Kollegen. Erst im zweiten Schritt erstellten sie eine spekulativere Version mit dunklen, lockigen Haaren, braunen Augen und einer mittelbraunen Haut.

Die Rekonstruktionen bestätigen den Eindruck, der sich schon aus den Schädelfragmenten ergab: Die Frau von Zlaty kun hatte eine sehr ausgeprägte Kieferpartie, die ihr ein fast männliches Aussehen verlieh. „Das erklärt, warum die Archäologen, die damals den Schädel entdeckten, ihn zunächst für den eines Mannes hielten“, sagt Moraes. Gleichzeitig jedoch zeigt das Gesicht mit dem breiten Kiefer und einigen den insgesamt eher robusten Gesichtszügen auch Merkmale des Neandertalers.

Kiefermaße
Vergleich der Kiefermaße für die Frau von Zlaty kun mit anderen menschlichen Fossilien sowie heutigen Vertretern des Homo sapiens. © Moraes et al./ Studies in Multidisciplinary Review, CC-by 4.0

Unterschiede zum modernen Menschen

Ergänzende Vergleichsanalysen bestätigten dies. Als Galassi und sein Team die Maße des Zlaty-kun-Kiefers mit denen anderer früher Homo-sapiens-Fossilien, denen von modernen Menschen und von Neandertalern verglichen, landete die Frau von Zlaty kun in einem Zwischenbereich: Ihr Kiefer war deutlich robuster als der der modernen Menschen oder der etwas jüngeren Homo-sapiens-Fossilien und zeigte Überlappungen mit dem Neandertaler, wie die Forschenden berichten.

Ähnliches zeigte sich, als die Wissenschaftler das Verhältnis von Schädelumfang mit dem Volumen des Endocraniums – der Innenhöhle des Schädels – verglichen. Auch hier lag die Frau von Zlaty kun zwischen dem modernen Homo sapiens und Frühmenschen wie dem Neandertaler und dem Homo heidelbergensis. Das Schädelvolumen der Ur-Europäerin war mit 1.590 Kubikzentimeter deutlich höher als bei einer durchschnittlichen heutigen Frau und 1,6 Standardabweichungen über den Mittel beider Geschlechter.

Mehr Anteile von Neandertaler als heutige Europäer

Damit zeigt sich: Obwohl die Frau von Zlaty kun eindeutig zur Spezies Homo sapiens gehörte, spiegeln sich in ihrem Aussehen auch einige Merkmale unserer prähistorischen Verwandten wie dem Neandertaler wider. Dies bestätigt, dass sich die nach Eurasien einwandernden Vertreter des Homo sapiens anfangs mit den Neandertalern kreuzten – darunter auch die Vorfahren der Frau von Zlaty kun.

Dies passt zu den Ergebnissen der DNA-Analysen von 2021, nach der diese Ur-Europäerin mehr Neandertaler-Anteile in ihrem Erbgut trug als die meisten heutigen Europäer. In ihrem Genom sind gut drei Prozent Neandertaler-Abschnitte enthalten und diese sind zudem länger und ununterbrochener als bei allen anderen bisher sequenzierten frühen Homo-sapiens-Vertretern. (Studies in Multidisciplinary Review, Preprint; doi: 10.6084/00000000)

Quelle: Moraes et al.

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